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Unheimlich verehrt by Nadia

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Dawsons Zimmer war bereits belebt als sie ankamen. Jack und Andie hatten es sich auf einem aufblasbaren Sofa rechts vom Bett bequem gemacht und Dawson selbst saß auf seinem Drehstuhl links vom Bett, gerade eine Schüssel gezuckertes Popcorn aufs Bett stellend. Neben der Schüssel lagen drei Videokassetten und der Fernseher war bereits eingeschaltet. Es lief gerade die Wettervorhersage für den kommenden Tag.

„Hey, Leute“, grüßte Joey, die zusammen mit Pacey im Türrahmen stand. „Seit wann hast du denn sowas?“, fragte sie und deutete auf das knallpinke Sofa, auf dem die McPhee Geschwister saßen und sprach damit Dawson an.

„Das gehört mir nicht. Andie hat es mitgebracht“, meinte Dawson lächelnd. „Du weißt, dass mir sowas nicht gefällt.“

„Deshalb war ich ja so überrascht, es hier zu sehen.“ Joey zuckte die Schultern, legte die Jacke ab und hängte sie an das kleine Regal rechts neben der Tür.

„Es ist bequemer als die Stühle, auf die wir sonst verfrachtet werden“, sagte Andie lächelnd. „Und es war recht günstig. Ich glaub, die Investition hat sich gelohnt.“

„Auf jeden Fall, Schwesterherz“, ließ sich Jack in das Gespräch ein und hüpfte auf dem Sofa herum, sodass Andie fast herunterfiel. „Es ist wie ein Trampolin.“

„Sehr witzig“, gab Andie kichernd von sich und hieb ihrem Bruder spielerisch in die Seite. Der begann damit seine Schwester zu kitzeln, bis sie um Gnade bettelte.

Pacey, Joey und Dawson sahen dem Ganzen belustigt zu, ehe sich die Neuankömmlinge aufs Bett setzten. Joey nahm sich die Videos vor. Sie war neugierig, was Dawson ausgeliehen hatte. Sie hoffte, dass es nicht wieder nur eine Sammlung von Spielberg-Filmen war und atmete erleichtert auf, als sich ihre Befürchtung dahingehend als unbegründet herausstellte.

„Was haben wir hier?“, fragte Pacey und nahm Joey die Filme ab. „'Evolution', 'Arac Attack' und 'Schrei, wenn du kannst'?“

„Ich dachte, dass zumindest ein Horrorfilm dabei sein sollte“, erklärte Dawson, als er Paceys fragendes Gesicht sah. „Und in dem Film geht es um ein Horror-Erlebnis am Valentinstag. Ich dachte, das wäre passend.“ Er lächelte, wobei seine makellosen weißen Zähne zum Vorschein kamen, mit denen er gut Werbung für Zahncreme machen könnte.

Joey lief es eiskalt über den Rücken, als Dawson etwas genauer erzählte, um was es in 'Schrei, wenn du kannst' ging. Für einen flüchtigen Moment zog sie in Erwägung ihren Freunden von dem mysteriösen Vorfall bei sich zu Hause und den anonymen Geschenken und Karten zu berichten, verwarf die Idee jedoch gleich wieder.

Wahrscheinlich steckte Dawson hinter alle dem und mit dem Film wollte er ihr quasi zeigen, dass er sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte. Schon jeher empfand er es als lustig, ihr Angst einzujagen und makabere Scherze mit ihr zu treiben. Etwas, das sie an ihm ganz und gar nicht mochte, zumal er es gelegentlich wirklich zu weit trieb.

„Hört sich super an“, sagte Andie und nickte begeistert. „Den sollten wir uns zuerst ansehen.“

„Von mir aus gerne.“ Jack nahm das Videoband aus der Hülle.

„Ich wäre mehr für 'Evolution'“, sagte Joey schnell und nahm Jack das Video aus der Hand. „Wir sollten was Lustiges anschauen, schließlich ist Valentinstag. Horrorfilmnächte machen wir sonst immer an Halloween oder am Freitag, den Dreizehnten.“

„Du Angsthase“, neckte Dawson seine beste Freundin und kniff ihr leicht in den Arm.

„Und wenn schon“, gab sie sich beleidigt.

Pacey lehnte sich in eines der Kissen auf dem Bett zurück. „Mir ist es egal, was wir anschauen. Hört sich alles gleichermaßen gut an. Eine Horror-Komödie wäre mir allerdings am liebsten.“

„Also dann“, sagte Dawson und nahm die Filme an sich. „Wir lassen Joey das entscheiden.“ Er mischte die Bänder, als habe er vor zu einem Kartenspiel einzuladen. Dann hielt er sie wie einen Fächer hoch, die Etiketten auf seiner Seite, sodass Joey nicht sah, welchen Film sie auswählte und hielt ihr die Videos hin.

„Immer ich“, beschwerte sie sich.

„Niemand hat hier was gegen Horrorfilme, abgesehen von dir“, kommentierte Pacey mit einem frechen Lächeln, nicht ahnend, dass Joey zurzeit selbst eine unheimliche Zeit durchmachte, in der ihr scheinbar jemand nachstellte.

„Und wir haben einen Gewinner!“, rief Dawson aus, als Joey eines der Videos antippte. „Der erste Film an diesem heiteren Abend ist: Schrei, wenn du kannst.“

„War das klar“, seufzte Joey und ließ sich schmollend neben Pacey auf das Bett fallen.

Er drehte den Kopf und sah sie an, während Dawson das Band in den Videorecorder schob. „Du kannst jederzeit meine Hand halten, wenn es dir zu gruselig wird“, bot er selbstlos an und versuchte aufmunternd zu lächeln.

„Ich hasse Horrorfilme“, murmelte sie nur, verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust und spürte schon während des Vorspanns, wie Adrenalin begann durch ihren Körper zu strömen.

Dawson und Andie lachten leise, während Jack nur einen mitleidigen Blick für Joey hatte, ehe sich sämtliche Augenpaare auf den kleinen Fernseher richteten.

~*~

Während des Filmes rutschte Joey unbewusst immer näher zu Pacey, was niemandem außer ihm selbst auffiel. Und das auch nur deshalb, weil es ihm immenses Herzklopfen bereitete. Schon viel zu lang verbarg er seine Gefühle für das Mädchen, das er früher liebend gern geärgert hatte. Doch seit Dawson ihn gebeten hatte auf sie zu achten, hatte sich seine Abneigung ihr gegenüber ganz allmählich in Zuneigung verwandelt.

Vorsichtig schielte er aus dem Augenwinkel zu ihr und lächelte unbewusst, als er ihren ängstlichen Gesichtsausdruck sah. Ihre rechte Hand klammerte sich schließlich um seinen Oberarm und er legte instinktiv seine Hand über ihre, begann sie sanft zu streicheln, in dem Versuch, Joey etwas zu beruhigen.

Pacey konnte ja nicht ahnen, dass Joeys Aufmerksamkeit sich vom Film – in dem gerade eine der Hauptdarstellerinnen auf brutalste Art und Weise abgeschlachtet wurde – auf ihn verlagerte. Vor allem auf seine sanfte Berührung, welche Joey einen angenehm warmen Schauer über die Haut jagte und jeden Millimeter ihres Köpers zu elektrisieren begann. Und eine einzige Frage dominierte mit einem Mal ihr gesamtes Denken: ‚Was zur Hölle tue ich da?‘ Ihr Blick wanderte langsam zu Dawson. Sie musste sichergehen, dass er es nicht bemerkt hatte. Das Glück war auf ihrer Seite, denn Dawson war ganz und gar im Bann des Films. Und so brachte Joey möglichst unauffällig wieder Abstand zwischen sich und Pacey, in dem sie sich zu ihrer Limonade hinüberlehnte, die auf Dawsons Nachttischchen stand.

Augenblicklich vermisste Pacey ihre Nähe und sah ein wenig bedauernd zu Joey hinüber. Sie deutete mit ihrem Blick hinüber zu Dawson und Pacey verstand den zarten Wink. Er wusste, dass sie wegen Dawson Abstand genommen hatte und nicht etwa deshalb, weil ihr seine Nähe unangenehm war. Der Gedanke beruhigte Pacey ein wenig, obgleich er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er ihr seine Gefühle endlich gestehen durfte.

~*~

Joey fühlte nichts als Erleichterung, als endlich der Abspann des Films über den Fernseher flimmerte. Sie nahm den letzten Schluck Limonade und zog dann ihre Schuhe an, die sie vorhin auf den Boden neben das Bett gestellt hatte. Für heute hatte sie genug gesehen. Sie fühlte sich müde und ein leichtes Pochen begann sich hinter ihrer Stirn bemerkbar zu machen.

„Du willst schon gehen?“, fragte Dawson erstaunt, während er die Rückspultaste der Fernbedienung betätigte und sah Joey aus dem Augenwinkel an.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bekomme Kopfschmerzen und bin total müde. Wenn ich jetzt nicht gehe, schlafe ich ein und das will ich nicht.“

Pacey warf einen flüchtigen Blick nach draußen. Es war stockfinster geworden und die Vorstellung, dass Joey jetzt nach Hause ging oder versuchte über den halb zugefrorenen Fluss zu rudern, gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Ich fahr dich heim, Potter“, sagte er daher und schlüpfte ebenfalls in seine Schuhe.

„Toller Videoabend“, grummelte Dawson sarkastisch und ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen. Er bemühte sich erst gar nicht seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass seine beiden besten Freunde nach nur einem Film gingen.

„Wir bleiben noch“, warf Andie dazwischen und sah ihren Bruder an, „nicht wahr, Jack?“

„Klar“, nickte dieser. „Ich hätte jetzt Lust auf Spinnen.“

Dawson war zwar froh, dass wenigstens Andie und Jack noch bleiben wollten, aber Joey und Pacey wären ihm doch lieber gewesen. Sie waren schließlich seine ältesten Freunde und mit ihnen sah er sich am liebsten Filme an, um anschließend darüber zu diskutieren.

„Du musst mich nicht begleiten.“ Joey stand vom Bett auf und sah Pacey an. Dawsons schlechte Laune war ihr nicht entgangen. Und sie glaubte, wenn Pacey bliebe, dann wäre Dawson wenigstens wieder etwas milde gestimmt.

„Draußen ist es eiskalt und stockdunkel. Da lasse ich dich nicht allein heimgehen. Das ist mir zu gefährlich.“ Mit diesen Worten griff Pacey zu seiner braunen Cordjacke und zog sie an. „Also, versuch gar nicht erst, es mir auszureden.“

„Wenn du so darauf bestehst“, meinte Joey schlicht und zog sich ebenfalls ihre Jacke an. „Macht’s gut Leute. Wir sehen uns ja dann morgen in alter Frische.“

Sich den Schal um den Hals wickelnd, winkte Joey nochmals über ihre Schulter und folgte Pacey dann, der lediglich ein „Wir sehen uns“ von sich gab und bereits auf halbem Weg die Stufen runter, ins untere Geschoss war.

„Pacey, warte!“, bat Joey und schloss zu ihm auf, ehe er das Haus verlassen hatte. „Dawson schien ziemlich zerknirscht.“

„Der beruhigt sich auch wieder. Niemand würde sich mehr Vorwürfe machen als er, wenn dir was zustieße. Ich weiß das, weil ich sein bester Freund bin.“ Mit diesen Worten schob er Joey sanft zur Haustür hinaus.

„Wirklich niemand, außer ihm?“, fragte sie und lächelte dabei.

„Du hast mich erwischt.“ Er erwiderte das Lächeln.

„Ich bin froh, dass es dich gibt, Pacey.“ Die Worte kamen wie durch einen Impuls über ihre Lippen, noch ehe sie darüber hatte nachdenken können. Aber es stimmte nun mal. In der letzten Zeit war sie immer häufiger froh darüber, dass sie und Pacey sich zunehmend besser verstanden. Früher hatte sie ihn für einen Blödmann gehalten, der Dawson ständig in Schwierigkeiten brachte und nichts als Unsinn im Kopf hatte. Inzwischen hatte sich ihr Bild von ihm jedoch geändert.

„Danke“, erwiderte er schlicht. Er war viel zu überrascht über ihre Worte, als dass ihm etwas Eloquenteres eingefallen wäre.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gingen sie – jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend – zum Auto und stiegen ein. Pacey ließ gerade den Motor an, als Joey die Karte wieder in den Sinn kam, die er ihr geschickt hatte. Unsicherheit machte sich in ihr breit, da sie einfach nicht mehr wusste, wie sie mit allem umgehen sollte. Die Karte, die versteckten Komplimente, die Gesten und unscheinbaren und doch so wichtigen Berührungen ... Alles ließ nur einen Schluss zu, vor dem sie bisher versucht hatte die Augen zu schließen.

„Pacey“, meinte sie schließlich beinahe flüsternd, „kann ich dich was fragen?“

„Klar.“ Seine Augen blieben auf die Straße gerichtet, aber seine Aufmerksamkeit galt Joey.

„Warum hast du mir die Karte geschickt?“

Betretenes Schweigen machte sich im Wagen breit und Joeys Befürchtung, dass er tatsächlich romantische Gefühle für sie entwickelt hatte, wurde dadurch nur noch stärker.

„Was glaubst du, weshalb?“

„Kannst du mir nicht einfach antworten, ohne eine Gegenfrage zu stellen?“ Sie fühlte, wie ein wenig Zorn in ihr aufstieg. Sie mochte es gar nicht, wenn er in Situationen wie dieser, den Ernst versuchte herabzuspielen.

„Hör’ mal, ich weiß, dass du diese Gefühle nicht hast. Ich dachte aber, dass ich es dich wissen lassen sollte ...“ Er hielt inne und sah flüchtig zu Joey hinüber, die ihn mit großen Augen anblickte. „Versuch es einfach zu vergessen.“

„Mach’ das nicht mit mir, Pacey.“ Als sie seinen fragenden Blick sah, fuhr sie fort. „Lass mich nicht so stehen. Ich habe es schon geahnt, dass sich irgendwas zwischen uns verändert hat. Dass gewisse Gefühle dabei sind aufzukeimen. Aber wir dürfen das nicht zulassen. Wir können nicht erforschen, was da vielleicht wäre ...“

„Wegen Dawson?“, fragte er dazwischen, ohne Joey ausreden zu lassen.

„Ganz genau“, erwiderte sie entschlossen. „Du weißt, dass er das nicht verkraften würde.“

Pacey räusperte sich. „So wie du das sagst, schließt du die Möglichkeit aber nicht völlig aus. Du hast nur Angst es einzugestehen. Und du empfindest ebenfalls etwas für mich.“

„Ich ... nein! Ich empfinde etwas für AJ.“ Joey verschränkte die Arme vor der Brust und gab sich möglichst entrüstet.

„Warum regt es dich dann so auf?“

„Weil du viel zu viel aufs Spiel setzt“, erklärte sie. „Und das bin ich nicht wert.“

„Das sehe ich anders, aber wenn du möchtest, dann tun wir einfach so, als hätte ich dir nie eine Karte geschickt.“ Natürlich war das nicht wirklich Paceys Wunsch, aber Joey schien seine Gefühle nicht zu erwidern und mochte ihn wohl doch nur rein platonisch. Damit würde er lernen müssen zu leben. Das zumindest versuchte er sich in diesem Augenblick selbst einzureden, auch wenn er genau wusste, dass es alles andere als leicht werden würde, Joey lediglich aus den Augen eines Freundes zu sehen.

Wenige Minuten später rollte der Wagen in die Auffahrt des Potterschen B&B und Pacey stoppte das Gefährt. Eine Weile saßen die beiden nur schweigend nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. Doch schließlich hielt Joey die drückende Stille nicht länger aus.

„Ich wollte dich nicht verletzen, Pacey. Ich denke nur, dass es besser ist, wenn wir versuchen nicht näher zu ergründen, was da sein könnte. Und du weißt, dass ich einen Freund habe.“

„Den du praktisch nie siehst, weil er mehrere Stunden Autofahrt entfernt wohnt. Was ist das denn für eine Beziehung?“ Pacey konnte nicht anders, als ihr seine Meinung zu dieser lächerlichen Fernbeziehung mitzuteilen. Er fand es einfach nicht normal, dass ein sechzehnjähriges Mädchen mit einem Studenten zusammen war, der obendrein auch noch so weit weg wohnte. Fernbeziehungen waren in seinen Augen selbst für Erwachsene schier unmöglich aufrecht zu erhalten. Und für junge Leute, wie sie es waren, sowieso.

„Pacey, bitte ... lass es uns nicht vertiefen. Es ist besser so.“ Sie sah ihn aus großen, traurigen Augen an. Dann lehnte sie sich zu ihm hinüber und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. „Danke, dass du mich hergefahren hast.“ Mit diesen Worten stieg sie aus dem Wagen und ging langsam zum Haus hinüber. Eisiger Wind blies ihr entgegen und sie schlang die Arme um sich selbst.

Er wartete noch einen kurzen Moment, dann ließ Pacey den Motor erneut an und fuhr rückwärts aus dem Hof und zurück auf die Straße. Sein Verstand wusste, dass Joey die richtige Entscheidung getroffen hatte – für sie beide – aber sein Herz brach nichtsdestotrotz in abertausend Stücke. Und zu allem Übel liefen im Radio nur Kuschelsongs, die seinen Schmerz verstärkten. Pacey entschied für sich, dass er den Valentinstag über alles hasste. Ganz besonders in diesem Jahr.

Joey drehte sich nochmals zu dem Wagen um, doch der war bereits in der Dunkelheit hinter den Bäumen verschwunden. Sie seufzte und schloss einen Moment bedächtig die Augen. Sie konnte nicht leugnen, dass sie mehr für Pacey empfand, als sie sollte. Doch sie war nicht bereit Dawson oder AJ wehzutun. Und das würde sie unweigerlich tun, sollte sie auf Paceys Avancen eingehen. Das durfte sie nicht zulassen.

Ein leises Rascheln im Unterholz erregte plötzlich ihre Aufmerksamkeit. Das Geräusch kam aus der Richtung, in der Pacey eben weggefahren war. Zunächst glaubte sie, dass er vielleicht nochmals zurückkam, doch als es dunkel blieb, verwarf sie den Gedanken wieder. Dann dachte sie an ein Tier. Vielleicht war irgendwo dort hinten ein nachtaktives Tier unterwegs. Sie zuckte die Schultern und wollte gerade wieder in Richtung Haus weitergehen, als es abermals raschelte. Diesmal lauter als zuvor und sie hörte deutlich, wie Zweige zerbrachen.

„Ist da jemand?“ Vorsichtig ging Joey einige Schritte in Richtung des Raschelns. „Hallo?“

„Joey ...“, kam es heißer und kaum hörbar aus dem Unterholz und sie erschauderte augenblicklich. „Joey ...“

Als sie die unheimliche Stimme ein weiteres Mal hörte, fiel ihr sofort der grausame Film ein, den sie bei Dawson gesehen hatte. Dort war das Mädchen der Stimme gefolgt und ermordet worden. Sie würde nicht so dumm sein. Mit weichen Knien lief sie daher schnell in Richtung Haus und rannte hastig die Stufen zur Veranda hoch. Es brannte zum Glück noch Licht und sie wusste, dass die Haustür dann noch nicht abgeschlossen war. Also riss sie die Tür auf, schloss sie hastig wieder hinter sich und blieb schwer atmend im Wohnraum stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und erst nach einigen Sekunden fielen Joey die verwunderten Blicke auf, die sich auf sie richteten.

Bessie, Bodie und ein Gast der Pension saßen am Küchentisch – offenbar hatte Joey eine Unterhaltung unterbrochen – und sahen sie verwundert an.

„Da war jemand im Gebüsch und rief meinen Namen“, sagte sie, immer noch verängstigt und außer Atem.

„Hat Dawson dich wieder mal zu einem Horrorfilm gezwungen?“, fragte Bessie lächelnd, ihre Schwester absolut nicht ernst nehmend.

„Das war keine Einbildung, Bessie. Schon den ganzen Tag habe ich das Gefühl ... beobachtet zu werden.“

„Bist du sicher?“, fragte nun Bodie und stand auf, um zu Joey zu gehen. „Du bist völlig blass.“ Er berührte kurz ihre Wange. „Komm setz dich hin, trink etwas Warmes und ich sehe mich inzwischen im Hof um. Einverstanden?“

Joey nickte dankbar dafür, dass wenigstens einer sie ernst nahm. Mit wackligen Knien ließ sie sich auf einen der freien Stühle am Tisch sinken und nahm eine Tasse Tee von Bessie entgegen, die sie zitternd an ihre Lippen führte.

Bodie zog sich seine Jacke an, nahm eine Taschenlampe aus der Küchenzeile und ging hinaus in die Nacht. Joey starrte gebannt auf die Tür, nur Bessie und der Gast schienen gelassen und nahmen das vorherige Gespräch wieder auf.

Nach einigen Minuten kehrte Bodie zurück ins Haus und schüttelte nur leicht den Kopf. „Da draußen ist niemand.“

Joey versuchte sich zu beruhigen. Womöglich hatte ihr wirklich nur die eigene Fantasie einen Streich gespielt. Nach so einem Filmabend wäre das auch nicht weiter verwunderlich gewesen.
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