Login     Help

Analyse eines Mordes by Kilby

[Reviews - 1]   Printer Table of Contents

- Text Size +

Notes

Übersetzung: Chrissy (christiane.schissler.cs@bayer-ag.de)

Für das Übersetzen und Veröffentlichen der Story von Kilby lag der Übersetzerin leider die Genehmigung der Autorin nicht vor, da diese auf wiederholte Anfragen nicht geantwortet hat. Wir verstehen die trotzdem erfolgte Veröffentlichung aber nicht als Verletzung ihrer Rechte als Autorin, sondern als Honorierung ihrer großartigen FanFiction.
„Es ist schon schlimm genug über die Vergangenheit Bescheid zu wissen, aber unerträglich wäre es die Zukunft zu kennen.“

(W. Somerset Maugham)



Ich hasse diesen Ort. Man weiß nicht wo die schäbigen Wände aufhören und die schmutzigen Flure beginnen. Die Edelstahltoilette in der Ecke hat ihre glanzvollen Jahre schon lange hinter sich. Die Matratze ist durchgelegen und man kriegt den Gestank von Urin einfach nicht aus der Nase.

„Witter!“

Ich hebe vorsichtig meinen Kopf und öffne die Augen, als ich ihn meinen Namen rufen höre. George steht auf der anderen Seite der Gitter. Seine Navy-Uniform ist völlig zerknittert und sein Gesicht, wie immer, ausdruckslos. „Du hast Besuch!“

Natürlich glaube ich ihm nicht. Mich will niemand sehen. Dennoch stehe ich auf und lehne mich gegen das Gitter. „Wer ist es?“, frage ich ihn.

„Bin ich deine Sekretärin oder was, Witter? Zurücktreten!!!“ George ist unfreundlich wie immer.

Ich trete zurück. Widerstand hat keinen Sinn. George öffnet die Zellentür und legt mir Handschellen an. Er kennt mich gut genug, dass er sich die Fußfesseln spart. Er weiß, ich laufe nicht fort. Ich laufe innen, George außen.

Die anderen Häftlinge ignorieren mich die meiste Zeit. Ich hinke eher über den Flur als dass ich laufe. Es scheint Furcht erregend auszusehen. Kann ich mir zwar nicht vorstellen, aber anscheinend ist es so. Sich ruhig verhalten und sich möglichst integrieren, ist der beste Weg, um sich hier über Wasser zu halten. Niemand stört mich, ich störe niemanden.

George führt mich in einen kleinen Raum, eckig und feucht. Weiße Wände engen mich ein und es gibt nichts zu sehen, außer dem grauen Fußboden. Ich wähle einen Stuhl und setze mich. Ich betrachte die zerkratzte Oberfläche des Tisches.

Ich kann mir nicht helfen, aber ich wundere mich, dass mich jemand besucht. Es ist eine Sache Leute zu haben, die sich um einen kümmern, weitaus mehr ist es, wenn sie dich im Gefängnis besuchen.

Ein kleiner schlanker Mann betritt vorsichtig den Raum. Er hat einen rasierten Kopf, dunkelbraune Haut, getönte Brillengläser und trägt ein Jeanshemd und eine Jeans. Meine Augen wandern fast unmittelbar zu dem Notebook und dem Tonbandgerät in seinen Händen.

„Pacey Witter?“, fragt er mich.

„Yeah“, antworte ich.

„Ich bin Jamal Anthony. Ich möchte ein Buch über Ihre Geschichte schreiben.“ Ich nicke nur als er sich auf dem Stuhl mir gegenüber niederlässt. „Sind Sie immer noch an einem Interview interessiert, Mr. Witter?“

„Sie können mich Pacey nennen!“ Meine Güte, eigentlich waren keine Formalitäten angebracht. „Warum wollen Sie das tun?“, frage ich ihn.

„Nun“, sagt Jamal, „Ich mache demnächst meinen Abschluss in Kriminologie und ich habe Ihren Fall in den Medien verfolgt und ich war äußerst interessiert.“

„Okay“, sage ich. Ich bin immer mehr einverstanden. Er sieht zwar nicht so alt aus, dass er bald sein Examen machen würde, aber ich will nichts sagen. „Was muss ich tun?“

„Ich will nur mit Ihnen reden, mir Ihre Geschichte anhören. Ich lasse ein Tonband mitlaufen und ich komme so oft zu Ihnen ins Gefängnis, bis ich genug Stoff für mein Buch habe“, erklärt mir Jamal.

„Geht in Ordnung!“, sage ich zu ihm. Ich habe niemanden sonst zum reden und schon gar keinen, der sich meine Geschichte anhören will.

„Schön“, sagt er, „dann lassen Sie uns beginnen. Sind Sie bereit?“, fragt er. Ich nicke und sehe ihm bei der technischen Vorbereitung zu. Er ruft auf seinem Laptop eine Seite auf die mit Fragen gefüllt ist und stellt das Tonbandgerät in unsere Mitte. Er drückt eine Taste, ein roter Punkt leuchtet auf und er sagt: „Dies ist ein Interview durchgeführt von Jamal Anthony am 05. Dezember 2004 mit Pacey Witter, Häftling Nr. 34042379, King’s County Gefängnis, Magliore, Massachusetts.“ Nach den Formalitäten fragt er mich, ob ich für ein paar Fragen bereit bin.

„Yeah“, antworte ich.

„Wie alt sind Sie, Pacey?“

„Ich bin vor ein paar Monaten 22 geworden.“

„Wie lange sind Sie schon im Gefängnis?“

„Seit meiner Verhaftung? Über drei Jahre!“

„Wann war Ihre Verurteilung?“

„Vor ungefähr 22 Monaten!“

„Wofür wurden Sie verurteilt?“

„Für vorsätzlichen Mord!“ Die Antwort kommt mir leichter über die Lippen, als ich dachte.

„Und wie lautet ihr Strafmaß?“

„Lebenslänglich, ohne Bewährung.“ Ich sage das ohne Emotion. Warum sollte ich auch? Gab es etwas zum Fühlen? „Die Staatsanwaltschaft wollte mich im Todestrakt sehen, aber dass ich nun hier sitze, ist das einzige, was mein lausiger Anwalt erreicht hat.“

„Warum sagen Sie das?“

„Ich wollte Einspruch erheben“, sage ich heftig zu ihm. „Ich wollte eine Chance auf Bewährung. Meine Anwältin sagte, sie könnte mich vielleicht rauskriegen oder wenigstens die Verurteilung für vorsätzlichen Mord abwenden. Alles was sie brauchte war eine verständnisvolle Jury. Sie fand keine.“

„Ist Sie in Berufung gegangen?“

„Vermutlich. Aber diese Frau schert sich einen Dreck um mich. Ich bin ein hoffnungsloser Fall und ich habe ihr kein Geld eingebracht. Ich wäre wahrscheinlich mit einem Pflichtverteidiger besser dran gewesen.“

„Wie fühlen Sie sich bei dem Gedanken daran, den Rest Ihres Lebens im Gefängnis zu verbringen?“

„Ich weiß nicht“, antworte ich. Und das ist absolut ehrlich. „Ich hatte genug Zeit mich mit dieser Sache zu beschäftigen. Das ist eine Sache. Ich habe Zeit. Ich versuche nicht darüber nachzudenken, dass ich die Welt da draußen nie wieder sehen werde.“

„Aber Sie vermissen es?“

„Nicht wirklich“, antworte ich. Schockiert sieht er mich an. Er versteht mich nicht. „ Ich habe nichts und niemanden mehr da draußen. Viele Leute wird es erschrecken, das zu hören, aber ich weiß genau, was ich da getan habe. Ich war mir in jeder Sekunde über die Konsequenzen bewusst. Aber mich kümmern die Leute nicht mehr, genauso wie mich dieser Mann nicht gekümmert hat.“

„Bishop“, sagt Jamal. „Elliot Bishop. Sie nannten ihn Slim.“

„Ich kenne seinen Namen“, murmle ich. „Das war kein wahlloser Gewaltakt. Ich bin nicht von Natur aus böse. Ich habe ihn nicht wegen der Lust am Töten umgebracht. Ich habe ihn getötet, um die Welt vor seinem Zorn zu bewahren.“

„Fühlen Sie Reue?“

Sofort schüttle ich meinen Kopf. „Nein, ich hoffe, dass er in der Hölle schmort.“

„Haben Sie vorher schon mal ein Verbrechen begangen?“

„Außer zu schnellem Fahren und trinken unter 21?“, frage ich ungläubig. „Nein!“

„Und warum war es dann so leicht jemanden umzubringen?“

„Es war nicht leicht“, antworte ich. Jetzt war ich etwas abgestoßen von dem Mann. Er sah nicht so aus als würde er irgendetwas verstehen und ich war mir sicher, dass er dachte, dass ich ein tief greifendes psychologisches Problem habe. Aber das ist es nicht. „Es war die letzte Möglichkeit. Das Letzte was ich tun konnte.“

„Glauben Sie das wirklich?“, fragt Jamal mich mit einem bitteren Unterton.

„Yeah!“

Ich könnte sagen, dass Jamal sichtlich erschrocken war. Er hüstelte nervös. „Vielleicht sollten wir uns zuerst auf Ihren Hintergrund konzentrieren, damit ich ein bisschen mehr über Sie weiß.“

„Was wissen Sie denn schon?“, frage ich gespannt.

„Nur das, was ich aus den Gerichtsaufzeichnungen weiß, was ich im Fernsehen gesehen und in der Zeitung gelesen habe. Aber ich bin sicher, dass es da noch mehr zu wissen gibt!“

„Gibt es! Wo soll ich anfangen?“

„Wo sind Sie aufgewachsen?“

„In einer kleinen Stadt hier in Massachusetts. Ich war der abstoßende Sohn des Polizeichefs!“

„Glauben Sie ihr Vater mag Sie nicht?“

„Mein Vater mochte mich nie“, sage ich ernst. „Mein Vater könnte das Vorzeigekind in verbaler Beschimpfung sein.“

„Hatten Sie Freunde?“

„Ja! Ein paar echt gute Freunde! Ich bin so aufgewachsen, wie mein Vater es prophezeit hat, ich überraschte niemanden. Was sie von mir erwarteten habe ich erfüllt.“

Jamal nickt. Ich weiß nicht was er mich als nächstes fragt. Bis jetzt ging es um seine Kindheit, aber er war sich sicher, dass Mr. Anthony bald zur Sache kommen würde. Er sieht mich mitfühlend an. Ich weiß, jetzt kommt irgendetwas.

„Wollen Sie mir über Ihre Freundschaft mit Josephine Potter berichten?“

Gewöhnlich zeige ich keine Reaktionen, aber unbewusst zucke ich bei ihrem Namen zusammen. Ich weiß nicht, wie darüber erzählen soll. „Joey“, sage ich weich. Es tut immer noch weh ihren Namen auszusprechen.

„Sie nannten sie Joey?“, fragt er ganz sanft.

Ich nicke und versuche den Kloß in meinem Hals hinunterzuschlucken. Ich weiß nicht warum ich glaubte, dass ich je darüber reden könnte.

„Wir können sofort stoppen, wenn Sie sich unwohl fühlen, Pacey!“, sagt Jamal.

Ich sehe ihn ganz ernst an. So wie er mich ansieht, weiß ich, dass er spürt, wie weh es mir tut auch nur ihren Namen zu hören.

„Wird das jemandem helfen?“, flüstere ich kaum hörbar.

„Ich denke schon, sonst würde ich nicht fragen!“, sagt Jamal ganz bestimmt.

Ich atme tief durch, um die Fassung zu bewahren.

„Joey und ich sind zusammen aufgewachsen!“, ich stoppe. Ich weiß nicht was ich sonst noch sagen soll.

„Nach Zeugen zu urteilen war sie zum Zeitpunkt des Vorfalls Ihre Freundin!“

„Ja, das war sie!“ Mehr kann ich nicht erzählen. Ich würde mich nicht besser fühlen. Nur schlechter. Ich habe die ganze Zeit versucht mich nur an das Gute zu erinnern. Jamal wartet höflich.

„Als ich fast achtzehn war fingen wir an uns zu treffen. Im letzten Jahr auf der High School und mehr werde ich Ihnen nicht erzählen.“ Manche Dinge müssen im Verborgenen bleiben.

Jamal nickt. Ich spüre, dass er nicht genug Mut hat, um einen verurteilten Mörder unter Druck zu setzen.

„Können Sie mir von der Mordnacht berichten?“

„Es war die letzte Maiwoche. In einer Woche wäre die Abschlussfeier der High School gewesen. Das letzte Jahr war stressig, also beschlossen Joey und ich in diesen Club nach Boston zu fahren, um ein bisschen Dampf abzulassen, um Spaß zu haben. Es war nicht das was Joey normalerweise tat!“

„Und warum seid ihr dann gegangen?“

„Es war etwas Neues. Es war vollkommen dumm!“ Es war der Fehler meines Lebens. Für einen Moment schweife ich ab. Vergesse das Jamal anwesend ist.

„Sie sah bezaubernd aus. Sie hatte dieses schwarze Kleid an, sie trug Kleider nie oft genug. Ihr Haar glänzte und sie war so glücklich.“

„Erzählen Sie mir was passiert ist in diesem Club.“ Jamal holt mich aus meiner Träumerei.

„Ich ließ sie allein an der Bar, während ich auf die Toilette ging. Als ich zurückkam sah ich wie Slim auf sie einschlug. Sie versuchte ihn abzuwehren, aber es klappte nicht. Er war ein Schläger. Als ich aber zurückkam ließ er sie in Ruhe und ich dachte den ganzen Abend nicht mehr an ihn.“

„Denkst du jetzt noch ab und zu an ihn?“

„Nein“, antworte ich. „Er war nur dieser Kerl in diesem Club, der meine Freundin schlug. Sie war wunderschön und es ist eine Menge passiert.“

„Was passierte als nächstes?“ Jamal ist neugierig, vor allem weil er weiß, wie die Geschichte ausgeht.

„Wir gingen spät nachts zur U-Bahn zurück. Es war eine sehr warme Nacht. Es waren tausende von Sternen am Himmel und wir lachten und hatten Spaß. Ich merkte gar nicht wie wir in diesen heruntergekommenen Bezirk gekommen waren. Es passierte nämlich nicht viel um uns herum. Aber ich erinnere mich, dass ich diese seltsame Vorahnung hatte, als dieser dunkle Lexus mit getönten Scheiben neben uns hielt.“

Ich musste stoppen. Meine Atmung geht flach und schnell und es ist als wäre es wieder diese Nacht.

„Ich konnte ihn sehen“, fuhr ich widerwillig fort. „Seine Augen als er die Scheibe hinunterließ. Aber er fuhr trotzdem weiter. Wir liefen weiter und er fuhr neben uns her. Dann öffnete sich das hintere Fenster und ich sah die Waffe. Der erste Schuss kam, bevor ich irgendetwas denken konnte, aber ich riss Joey an mich und wir fielen zu Boden. Die Kugeln waren überall und das Auto fuhr weg.“

Ich sah mich um, bevor ich weitererzählte. „ Ich sah überall Blut. Ich wusste, dass ich getroffen war. Ich lag auf ihr, ich dachte sie wäre okay. Aber als ich mich aufsetzte rührte sie sich nicht. Ich hatte einen Knieschuss, aber das ganze Blut war von ihr. Aber ich wusste sie lebte, denn sie sah mich an.“

„Was war mit ihr geschehen?“, fragte er ganz sanft.

„Ihr Brustkorb war getroffen. Ich wusste es damals nicht, aber sie war zweimal in der Brust getroffen. Ihre Lunge war verletzt und sie bekam keine Luft und überall Blut!“

Ich atmete verdammt schnell, mein Kopf tat mir weh und mir war ziemlich übel.

„Atmen Sie tief ein“, hörte ich Jamal freundlich sagen. Ich tat es. Ich beruhigte mich ein wenig als die Erinnerungen ein bisschen abklangen. „Sind Sie okay?“

Ich nickte.

„Was haben Sie als nächstes getan?“

„Ich schrie. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Ich nahm ihren Kopf in meine Hände und wiegte sie hin und her. Sie hatte schreckliche Schmerzen und ich versuchte mir weiszumachen, dass das alles nicht wahr war. Ich wusste, dass sie im Sterben lag.“

„Hat sie etwas zu Ihnen gesagt?“

Ich dachte an die Worte, die ich immer wieder, jeden Tag, in meinem Kopf höre. Ich will sie mit niemandem teilen. Aber ich fühlte eine Kraft in mir, die mich ermutigte alles zu erzählen.

„Sie sagte: ‚Ich liebe dich!’“

Ich fing an zu weinen. Ich denke, dass war echt sehenswert. Ein erwachsener Gefangener im orangenen Häftlingsoutfit mit gefesselten Händen saß da und weinte bitterlich. Ich wischte schnell die Tränen weg, die mir über die Wangen liefen.

„Ich sagte ihr, dass ich sie auch liebe und dass alles gut wird, aber als sie mich ansah, da wusste ich, dass sie wusste, dass sie sterben muss. Ich erinnere mich, dass sie versuchte zu lächeln. Sie versuchte, dass ich mich besser fühlte. Sie konnte nicht sprechen, aber sie formte mit ihren Lippen ein zweites Mal ‚Ich liebe dich!’“

Ich hielt meinen Kopf in den Händen und das einzige Geräusch, das ich wahrnahm, war das Klirren der Handschellen.

Ich flüsterte: „ Sie schloss ihre Augen und ich weiß nicht, wie oft ich sie gebeten habe sie öffnen. Sie hat mich nie wieder angeschaut!“

„Sie starb in Ihren Armen?“, fragte Jamal vorsichtig.

Ich sah ihn gequält an.

„Ja!“

„Kam denn ein Krankenwagen?“

„Ich habe einen gerufenen, aber ich weiß nicht mehr wann. Die Sanitäter sagten, ich war wie betäubt und das ist die Wahrheit. Ich weiß nicht was passiert ist. Ich wurde drei Stunden lang operiert, bevor ich mich an alles erinnerte.“

„Es war eine Knie-OP richtig?“

„Ja“, antwortete ich ihm. „Die Kugel zerschlug meine Kniescheibe und sie mussten sie wieder herstellen.“ Ich hielt einen Moment inne, spielte mit den Handschellen, die meine beiden Hände fesselten. „Ich habe auf eigene Verantwortung das Krankenhaus verlassen, um zu ihrer Beerdigung zu gehen. Mein bester Freund… er sah mich an als hätte ich selber auf sie geschossen. Er hatte schon immer gesagt, dass ich ihr Unglück wäre. Und er hatte Recht.“

„Und wie kam es dann zu dem Mord und der Verhaftung?“ Er hört sich oberflächlich an. Wahrscheinlich, um seine Schuldgefühle zu unterdrücken.

„12. Juni. Antonio Rodriguez. 15 Jahre alt. Wollte Mitglied in Slims Gang werden. Und sein Auftrag war uns beide zu töten. Slim hat ihn zusammengeschlagen als er erfuhr, dass ich lebe. Antonio ging dann zu den Cops.“ Ich sah Jamal in die Augen, ich wollte ihn zu einem Statement herausfordern. „Hast du jemals von der Große Fische/Kleine Fische-Theorie gehört?“

„Nein!“ Ich war mir sicher, dass er log.

„Die Basis ist folgende: Manchmal musst du den kleinen Fisch laufen lassen, um an den großen heranzukommen. Die Cops wollten Slim und nicht dieses Kind. Antonio Rodriguez machte einen Deal mit den Cops. Er würde gegen Slim aussagen, dafür würden sie ihn nur wegen fahrlässiger Tötung anklagen, statt wegen Mord. Er hat zwei Monate im Jugendknast verbracht.“

„Und was passierte dann?“

„Der große Fisch ist trotz allem entkommen. Es gab einfach nicht genug Beweise für seine Schuld. Nicht genug Beweise, um ihn hinter Gitter zu bringen. Ich bin aus dem Gerichtssaal herausgehumpelt, drei Monate nachdem ich die Liebe meines Lebens begraben hatte und Slim ging mit einem Lächeln und als freier Mann.“

„Was haben Sie in diesem Moment gedacht?“, Jamal sieht mich erwartungsvoll an.

„Ich wollte ihn töten!“, sagte ich einfach und ehrlich. Ich war fast sicher, dass die Traurigkeit aus meinem Gesicht verschwunden war und der Wut Platz gemacht hatte. „Ich entschied, dass ich nicht einfach so damit leben konnte. Ich musste etwas tun!“

„Und wie haben Sie es angestellt?“

„Ich nahm eine Waffe von meinem Vater. Ich fand Slim, als er alleine war. Er war ein geschicktes Arschloch. Er fragte mich nach meinem Knie und sagte mir, dass ich schon eine neue Freundin finden würde. Jede Andeutung von Gewissensbissen oder Mitgefühl verschwand dann augenblicklich. Ich zielte mit der Waffe auf ihn und er fiel in sich zusammen. Er versuchte seine Angst zu verstecken, aber er war nicht mehr der coole Gangster. Ich sagte ihm, ich würde ihn töten, und ich tat es.“

„Was haben Sie genau getan?“

„Ich schoss ihm in den Oberschenkel und erzählte ihm jedes Detail von Joey’s qualvollem Tod. Dann schoss ich ihn zweimal in die Brust und dreimal in den Kopf. Ich ließ die Waffe fallen und verschwand!“

„Wie lange dauerte es, bis Sie verhaftet wurden?“

„Nicht einmal eine Woche. Ich schätze unterbewusst wollte ich verhaftet werden. Von da an blieb ich im Gefängnis. Während der Gerichtsverhandlung und so weiter. Es ist fantastisch, weil die zwei Leute die sie ermordeten einfach gehen konnten als ob sie einen Schokoriegel geklaut hätten. Und ich? Ich bin hier eingesperrt für den Rest meines Lebens. Ich habe das Gleiche gemacht, dass sie getan haben.“ Ich wusste ich war im Recht. Meine Stimme war jetzt hart und kalt. Es musste irgendwie so sein.

Jamal nickte und es schien als versuchte er das aufzuarbeiten, was ich ihm gerade erzählt hatte.

„Nur noch eine einzige Frage für heute, okay?“

„Klar doch“, stimmte ich zu.

„Fühlen Sie sich als hätten Sie ihren Tod gerächt?“

„Ihren Tod gerächt? Nein! Es wird sie nicht wieder zum Leben erwecken. Sie ist tot. Für immer gegangen.“ Ich klinge gereizt.

„Und was rechtfertigt Ihr Verhalten?“

„Ich kann nachts schlafen, mit dem Wissen, dass ein junger Mann, der einfach allein die Straße hinuntergeht die Nacht nicht damit beendet, seine Freundin in seinen Armen sterben zu sehen, wegen diesem Arschloch Slim.“

Jamal starrt mich nur an. Ich wünschte, ich wüsste was er denkt. Dann stellt er das Tonbandgerät aus und packt seine Sachen genau so methodisch ein wie er sie ausgepackt hat.

„Vielen Dank für das Interview! Kann ich mit neuen Fragen wiederkommen?“

„Sicher“, antworte ich ihm.

Ich sehe ihn an als er seinen Mantel anzieht und plötzlich dreht er sich noch mal zu mir herum.

„Sie hatten gefragt, warum ich Sie ausgewählt habe? Ich sollte Ihnen sagen warum!“

„Warum?“, frage ich ihn.

„Ich glaube nicht, dass Sie hierhin gehören, Pacey!“

Ich nicke einfach, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Er lächelt unsicher bevor er hinausgeht.

Dann kommt George herein und bringt mich in meine Zelle zurück.



ENDE
You must login (register) to review.