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Never alone by Susanne F

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Notes

Spoiler: Serien-Finale
Die Sonne fiel durch die Fenster der Capeside Highschool und zeichnete Schatten auf den Boden. Andrew Hampton stand vor dem Lehrerpult und las aus einem Gedichtband von Walt Whitman vor.

„We two boys together clinging, One the other never leaving, Up and down the roads going – North and South excursions making -“, er brach ab. Jack McPhee, der auf Andrew’s Platz saß, sah ihn an.

„Warum lesen Sie nicht weiter, Mr. Hampton?“

„Entschuldigen Sie, Mr. McPhee, aber das... das ist ein schwules Gedicht!“ Er zögerte. „Ich meine, es ist von einem Kerl an einen anderen Kerl.“

Der Lehrer sah ihn mit gespieltem Erstaunen an. „Ich wusste gar nicht, dass Gedichte eine sexuelle Orientierung haben, Mr. Hampton.“

Andrew wurde rot. Er wollte etwas antworten, stammelte aber nur herum und suchte mit den Augen verzweifelt den Klassenraum nach einem Rettungsanker ab.

„Schon gut, Mr. Hampton. Setzen Sie sich.“ Andrew sah ihn erleichtert an. Jack stand auf und ging nach vorne. Er lehnte sich mit dem Rücken zur Tafel an den Lehrertisch und sah sich in der Klasse um. Die Schüler sahen ihn erwartungsvoll an, denn für kurze Zeit sagte niemand etwas und man hörte nur das Rascheln von Zetteln und das Schaben von Füßen auf dem Boden.

Jack überlegte. Dann begann er wieder zu sprechen: „Ich möchte Ihnen etwas erzählen. Wie Sie vielleicht wissen, war ich selbst vor zehn Jahren mit fünfzehn auch an dieser Schule. In diesem Klassenzimmer hatten auch wir Englischunterricht. Wir hatten die Aufgabe, ein Gedicht zu schreiben.“ Jack ging jetzt zwischen den Tischen umher und beobachtete seine Schüler, während er darauf bedacht war, die richtigen Worte zu wählen.

„Das was dann geschah, hat mich damals ziemlich mitgenommen, aber aus heutiger Sicht, bin ich sehr froh, dass es passiert ist.

Ich wurde aufgefordert mein Gedicht vorzutragen. Ich wollte das nicht, denn es war etwas sehr Persönliches, und wie ich dachte, nur für den Lehrer Bestimmtes. Ich war sehr nervös, als ich begann, die ersten Zeilen zu lesen. Mir wurde die Kehle eng und Tränen stiegen in mir auf. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und stürmte aus der Klasse.

Sie werden sich sicher fragen, was an einem Gedicht so schlimm sein kann, dass ich so reagiert habe.“ Er schaute in die Runde und sah, dass die Schüler ihn gespannt ansahen. „Nun …ich kann Ihnen das Gedicht gern das nächste Mal mitnehmen. Nur soviel: Es war an einen Mann gerichtet. Also das, was Mr. Hampton als ein “schwules Gedicht” bezeichnen würde.“



Jack war ganz ruhig und wartete auf Reaktionen seiner Zuhörer. Ein paar sahen ihn unsicher an, andere wechselten erstaunte Blicke mit ihrem Sitznachbarn und ein paar Mädchen in der letzten Reihe tuschelten miteinander. Jack fiel auf, dass fast alle erstaunt reagierten. Nur Andrew Hampton war beinahe unmerklich in seinem Sitz zusammengesunken und fixierte einen Punkt auf seinem Tisch.

Dann schoss auch schon die erste Hand in die Höhe. „Mr. McPhee?“

„Ja, Ms. Weaver?“

„Heißt das, dass Sie schwul sind?” Sie sah in gespannt an.

Jack schob die Hände in die Hosentaschen und antwortete ganz gelassen. „Ja, das heißt es. Und das wurde mir durch diese Arbeit bewusst. An den darauf folgenden Tagen ging ich zwar durch die Hölle, aber schlussendlich war es doch das Gedicht, dass mich – sozusagen – befreit hat.“



Die Stille, die nun folgte wurde durch das Schrillen der Pausenglocke zerrissen. Jack wandte sich an seine Klasse: „Ich möchte, dass Sie bis zur nächsten Stunde ein Gedicht schreiben! Schreiben Sie das auf, vor dem Sie sich am meisten fürchten!“ Er musste sehr laut sprechen, um den Lärm der Schüler und die Pausenglocke zu übertönen. Die Schüler verließen die Klasse und Jack ordnete seine Unterlagen, um nach Hause zu gehen.



Als er aufsah, bemerkte er, dass Andrew Hampton immer noch auf seinem Platz saß und ihn unsicher ansah. „Mr. Hampton, kann ich noch etwas für Sie tun?“

Andrew starrte wieder auf den Tisch und murmelte leise: „Ich kann dieses Gedicht nicht schreiben.“

Jack runzelte die Stirn. Er trat neben Andrew und sah ihn an. „Wie meinen Sie das?“

„Ich meine...“, er schluckte. „Ich meine... mir geht es genauso... wie es Ihnen ging...“ Andrews Stimme zitterte und seine Augen schimmerten feucht. „Ich bin genau so...“ Jetzt liefen Tränen über Andrews Gesicht.

Jack legte ihm vorsichtig eine Hand auf die Schulter. Als Andrew sein Gesicht in den Händen vergrub, zuckte Jack zurück. Er sprach langsam und ruhig auf Andrew ein: „Andrew, ich weiß genau wie es Ihnen jetzt geht. Und ich wollte Sie wirklich nicht in Verlegenheit bringen. Es tut mir leid, wenn ich mit der Sache heute -“

Andrews Kopfschütteln unterbrach ihn. „Sie sind an gar nichts schuld, Mr. McPhee.“ Er wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und stand auf. „Ich danke Ihnen.“ Dann nahm er seine Tasche und verließ den Raum.

Jack stand noch eine Weile da und schaute ihm, in Gedanken versunken, nach.





~+~





Bevor Jack nach Hause ging, schaute er noch bei Gale Leery vorbei. Sie hatte heute auf Amy aufgepasst, da sowohl Doug als auch er lange arbeiten mussten und sich nicht um die Kleine kümmern konnten.

Als er klingelte öffnete ihm Lilian die Tür. Dawson's kleine Schwester lachte ihn an. „Hallo, Jack!“

„Hi, Lilly. Ich will Amy abholen.“ Da erschien auch schon Gale in der Tür. Sie hatte Amy auf dem Arm und ihre Wickeltasche über der Schulter. „Hallo, Jack. Schön, dass du da bist.“

„Hallo. Danke, Gale, dass du heute auf sie aufgepasst hast. Ich hoffe, sie hat dich nicht zu sehr auf Trab gehalten?“

Gale lächelte. „Wenn dich schon diese Kleine, die noch nicht mal ein Jahr alt ist, auf Trab hält, dann warte mal ab bis sie größer wird, Jack.“

Er nahm ihr das Kind ab und gab ihm einen flüchtigen Kuss. „Das können wir gar nicht erwarten, nicht wahr, Amy?“ Amy lachte ihn an und brabbelte etwas Unverständliches. Jack lachte. Dann nahm er Gale die Tasche ab und drehte sich um. „Danke noch mal!“

„Kein Problem. Jeder Zeit wieder.“

„Danke. Mach’s gut.“





~+~





Endlich im Strandhaus angekommen, setzte Jack Amy in ihren Hochstuhl. Nachdem er sie gefüttert und gewickelt hatte, brachte er sie ins Bett, da sie ihn schon seit einiger Zeit nur noch aus sehr kleinen Augen angeschaut hatte.

Dann ließ er sich mit einem Seufzer auf die Couch fallen und schloss für einen Moment die Augen. Er musste wohl eingeschlafen sein, denn erst ein Schlüsselrasseln weckte ihn wieder. Doug stand vor ihm und grinste ihn an. „Hallo, Schatz.“

Jack lächelte ihn verschlafen an. „Hi, Doug. Wie spät ist es?“

Doug setzte sich neben Jack und gab ihm einen Kuss. „Halb sieben, warum?“ Jack stöhnte und rieb sich mit der Hand über die Stirn. „Oh Mann...“

„War heute wohl schlimm, hm?“

Jack seufzte. „Ja... Aber daran bin ich selbst schuld.“

„Wieso das?“ Jack stand auf und ging auf das Bücherregal zu. Er zog einen Ordner heraus und blätterte in ihm herum. Als er das gefunden hatte, was er suchte, nahm er das Blatt heraus und hielt es Doug hin.

„Erinnerst du dich noch daran?“

„’Today. Von Jack McPhee’. Das ist doch das Gedicht, dass du bei diesem Ekelpaket von Lehrer vortragen musstest, oder?“

„Das Ekelpaket hieß Peterson. Aber, ja, das ist es.“

Doug sah ihn etwas irritiert an. „Und, was hat das mit deinem Tag zu tun?“ Jack seufzte und betrachtete das Gedicht. „Wir haben heute ein Gedicht von Walt Whitman durchgenommen. ‘We Two Boys Together Clinging’, falls dir das etwas sagt.“

Doug nickte. „Ja, und? Das kommt jedes Jahr einmal vor, oder etwa nicht?“ „Ja, sicher... Der Schüler, den ich es lesen ließ – Andrew Hampton – bezeichnete es als ein „schwules Gedicht“, da es ja an einen Mann gerichtet ist. Es fiel ihm ziemlich schwer, es fertig zu lesen, weshalb ich hin unterbrach. Diese Situation hat mich so sehr an diese eine Stunde bei Peterson erinnert, Doug! Deshalb hab ich meinen Schülern davon erzählt, und was das für Folgen für mich hatte.

Und abgesehen von ein paar erstaunten Gesichtern gab es keine großartigen Reaktionen auf dieses Coming Out.“

„Das ist doch toll!“

„Für mich sicher, aber nicht für einen der Schüler. Als alle draußen waren, saß Andrew noch immer auf seinem Platz. Er brach plötzlich in Tränen aus und sagte, dass er – wie er es ausdrückte – genau so wäre.“

„Er hat sich bei dir geoutet!?“

„Ja. Und mich macht das fertig, verstehst du? Ich stand da neben ihm und wusste nicht was ich tun sollte! Das klingt jetzt hart, aber Gott sei dank riss er sich dann zusammen und ging.“

Jack sah Doug an. „Ich hab Angst, dass ich da irgendwas ausgelöst habe, mit meiner Geschichte...“

Doug nahm Jack in den Arm. „Nein, es war richtig was du getan hast! Der Junge wird damit schon fertig. Du warst schließlich auch fünfzehn, und hast es ja auch geschafft. Und er hat, im Gegensatz zu dir, einen Lehrer, dem er sich anvertrauen kann.“

Jack lächelte. „Ja.“





~+~





„Guten Morgen, Herrschaften!“ Nachdem sich alle Schüler gesetzt hatten, ergriff Jack das Wort. „Ich habe Ihnen hier etwas mitgebracht.“ Er zog einen Zettel aus seiner Tasche und hielt ihn hoch. „Das ist das Gedicht, von dem ihn Ihnen gestern erzählt habe. Aber bevor Sie in den Genuss dieses Meisterwerks“, er lächelte, „kommen, würde ich gern ein paar von Ihren literarischen Ergüssen hören! Gib es jemanden, der sich traut, seine Ängste mit seinen Mitschülern zu teilen?“

Wie erwartet meldete sich niemand. Jacks Blick fiel auf Andrew, der ihn flehend ansah. Nein, das würde er ihm nicht antun. „Mr. Golding, was ist mit Ihnen?“ Murrend erhob sich ein etwas dickerer Junge von seinem Platz. Sein Gedicht handelte von der Angst, die Schule nicht zu schaffen, und ewig das Brandmal des dicken Versagers zu tragen. Als er sich setzte meinte Jack: „Sehr gut, Mr. Golding. Gibt es noch jemanden, der soviel Mut hat wie Mr. Golding?“ Niemand meldete sich. „Na, ich sehe schon, Sie warten alle nur auf eines.“ Wieder holte er den Zettel hervor. „Will es jemand lesen, oder soll ich es selbst tun?“ Wieder meldete sich niemand. „Na gut. Es heißt ‚Today’.“ Langsam begann er zu lesen:

„Today was a day the world got smaller. Darker.

I grew more afraid.

Not of what I am, but what I could be.

I loosen my collar to take a breath.

My eyes fade and I see... him.

An image of perfection, his frame strong. His lips smooth.

And I keep thinking.

What am I so scared of?

And I wish I could escape the pain,

but these thoughts invade my head.

Bound to my memory,

they’re like shackles of guilt.

Oh, God, please set me free

from the prison of isolation.

And let me love.

And let me be.”



Jack ließ das Blatt sinken und sah sich in der Klasse um. Ein Mädchen wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und begann dann leise zu applaudieren. Die ganze Klasse fiel ein und Jack stand gerührt vor seinem Pult und wartete, bis sich die Schüler wieder beruhigt hatten.

„Ich danke Ihnen. Wie Sie sehen, hab ich es diesmal geschafft, nicht in Tränen auszubrechen, als ich das Gedicht las.“ Er lachte. „Aber wenn jetzt niemand mehr sein Gedicht vorlesen möchte, bitte ich Sie, sie nach vorne zu geben.“ Jack sammelte die Zettel ein und legte sie auf seinen Tisch. „Gut. Dann können wir uns jetzt ja wieder Herrn Whitman zuwenden. Bitte schlagen Sie Ihre Bücher auf Seite 124 auf.“





~+~





Nach dem Unterricht ging Jack auf den Parkplatz zu seinem roten Sportwagen. Er war sehr erstaunt, als er Andrew Hampton am Randstein sitzen und auf ihn warten sah. Als Jack näher kam, stand Andrew auf. „Mr. McPhee?“

„Andrew. Was machen Sie denn hier?”

„Ich muss mir Ihnen reden, Mr. McPhee. Haben Sie kurz Zeit?“

„Natürlich. Worum geht’s denn?“

Andrew druckste herum und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Na ja... also... ich habe beschlossen, es meinen Eltern zu sagen.“

„Ja? Das ist ja super!“ Jack sah seinen Schüler erfreut an.

„Ja, das ist es wohl...“

Jack merkte, dass dem Jungen noch etwas auf dem Herzen lag. „Das war aber nicht alles, oder?“

Andrew senkte die Stimme. „Nein. Ich wollte Sie bitten...“ Er fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. „Würden Sie mich begleiten?“

Jack sah in erstaunt an. Jetzt fühlte er sich eindeutig überrumpelt. „Andrew, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist... Ich weiß auch nicht, wie ich Ihnen dabei helfen könnte! Sagen müssen Sie es ihnen selbst.“

„Ja, aber es würde mir schon helfen, wenn ich nur wüsste, dass Sie da sind. Ich meine, ich weiß, dass Sie das auch durchgemacht haben...“

Andrew sah Jack flehend an, und er merkte, dass der Junge Angst hatte. „Weißt du was, Andrew?“ Jack hatte gar nicht bemerkt, dass er Andrew geduzt hatte. Aber anscheinend fiel es auch diesem nicht auf. „Ich werde darüber nachdenken, okay?“

Erleichtert atmete Andrew auf. „Danke.“

„Lass mir etwas Zeit, ja?“

„Sicher. Vielen Dank.“

„Schon gut. Jetzt muss ich aber los. Wir sehen uns dann im Unterricht.“

„Ja. Auf Wiedersehen.“

Jack stieg in sein Auto und fuhr nach Hause. Andrew hatte sich schon wieder umgedreht und war in das Schulgebäude zurückgegangen.





~+~





Als Jack sein Haus betrat, saß Doug mit Amy auf dem Schoß im Wohnzimmer und sah ihm entgegen. „Hi, Jack!“

„Hi.“

„Rate mal, was mir heute passiert ist!“

„Hm? Was?“ Doug runzelte die Stirn. “Ist mit dir alles in Ordnung?”

„Ja klar, warum auch nicht?“, antwortet Jack mit wenig Begeisterung.

„Was ist denn heute wieder passiert?“

Jack seufzte. „Andrew hat mich gebeten, ihn zu begleiten, wenn er sich bei seinen Eltern outet.“

„Oh.“

„Danke für diesen Kommentar, mein Schatz. Das war jetzt wirklich hilfreich.“

Doug nahm Jacks Hände. Jetzt wurde auch er ernst. „Sorry. Aber ich versteh nicht, was so schlimm daran sein soll.“

Jack war aufgestanden und ging vor seinem Freund auf und ab. „Doug! Ich bin sein Lehrer! Und noch dazu schwul! Was könnte man da nicht alles hineininterpretieren!“

„Zum Beispiel? Dass du weißt, wie der Junge sich fühlt und das nachvollziehen kannst? Dass du ihm helfen willst, dass er es etwas leichter hat?“

„Nein! Dass ich daran schuld bin, weil ich mich vor meiner Klasse geoutet habe! Dass ich ihn dazu gemacht hätte! Dass ich verführt hätte, oder was weiß ich!“

„Jack!“ Doug war stand auf und legte ihm die Hände auf die Schultern.

„Beruhige dich! Es wird nichts dergleichen geschehen. Der Junge wird dir unendlich dankbar sein – mehr nicht.“

„Ich kenne seine Eltern nicht! Ich könnte meinen Job verlieren, wenn sie auf die Idee kämen, irgendwelche Lügen herumzuerzählen, nur weil sie nicht damit klarkommen, dass ihr Sohn schwul ist!“

„Komm schon! Beruhige dich.“

Jack ließ sich auf die Couch fallen und legte den Kopf in den Nacken. „Ich will ihm helfen.“

„Dann tu das auch. Begleite ihn.“

Jack sah Doug fest in die Augen. „Wahrscheinlich hast du Recht. Ich mach’s.“

„Sehr gut.“

Jacks Blick wanderte zu Amy, die in der Ecke der Couch saß und die beiden mit großen Augen anstarrte. „Oh, oh. Ich glaube wir haben die Kleine ganz schön erschreckt.“ Jack nahm das Kind auf den Arm und drückte es an sich. „Entschuldige, Amy. Wir wollten dir keinen Schreck einjagen. Es ist alles wieder okay.“ Er lehnte sich zurück und gab erst Amy und dann Doug einen Kuss.





~+~





Am Ende der Englischstunde trat Jack auf Andrew zu. „Hallo, Andrew.“

„Hi, Mr. McPhee.”

“Ich habe darüber nachgedacht. Und ich werde dich begleiten.“

Andrew schien sehr erleichtert. „Vielen Dank.“

„Nichts zu danken. Gib’ mir nur noch deine Adresse und sag mir wann. Und ich werde da sein.“

„Ich kann sie Ihnen gleich aufschreiben, wenn Sie wollen.“

„Sicher.“ Jack schob ihm seinen Terminplaner zu und Andrew schrieb seine Adresse auf.

„Ist es Ihnen diesen Freitag um sieben recht?“

Jack überlegte kurz, dann nickte er. „Freitag geht in Ordnung.“ Er nahm den Kalender und steckte ihn in seine Tasche. „Gut, dann sehen wir uns Freitagabend.“

Andrew nickte. „Bis dann.“

„Ja.“





~+~





Freitagabend parkte Jack sein Auto vor dem Haus der Hamptons. Als er Richtung Haustür ging, sah er, dass Andrew ihn bereits erwartete. Er saß auf den Stufen und kam ihm nun entgegen. „Hallo, Mr. McPhee.”

“Hi, Andrew. Wie geht’s dir?” Andrew zuckte die Schultern. „Es geht schon. Etwas nervös...“

„Hör zu, Andrew. Du musst das nicht machen. Wenn du es ihnen doch nicht heute sagen willst, dann mach das auch nicht. Du darfst nicht denken, dass es heute sein muss, nur weil ich da bin, okay?“

Andrew nickte. „Aber ich will es ihnen heute sagen. Ich bringe das jetzt hinter mich.“

Jack nickte. „Gehen wir rein?“



Er folgte Andrew in das Esszimmer.

„Guten Abend, Mr. Hampton. Mrs. Hampton.“ Jack reichte beiden die Hand. „Guten Abend, Mr. McPhee. Es freut uns, dass Sie hier sind, auch wenn uns Andrew nicht verraten hat, weshalb er Sie eingeladen hat.“

Jack sah zu Andrew, der nur beinnahe unmerklich die Schultern zuckte. *Na gut, wir werden das schon so auch hinkriegen*, dachte er.



„Bitte nehmen Sie doch Platz, Mr. McPhee.“

„Danke.“ Jack setzte sich neben Andrews Mutter. Ihr gegenüber saß ihr Mann, Jack gegenüber Andrew.

„Wollen Sie uns denn nicht verraten, weshalb Sie hier sind.“

Jack suchte fieberhaft nach Worten. Da antwortete Andrew für ihn: „Mum, lass uns doch erst essen. Reden können wir dann hinterher, okay?“

Sie nickte. „Wie du willst.“ Sie stand auf und brachte das Essen herein. Sie hatte sich große Mühe gegeben. Es gab eine ausgezeichnete Suppe und dann einen Braten mit Salat.

Während des Essens sah sich Jack im Zimmer um. Die Wände waren weiß, die Einrichtung hell und freundlich. An den Wänden hingen ein buntes Bild und eingerahmte Fotos der Familie.

Die Familie selbst, sowie auch das Zuhause in dem sie lebte, schien sehr nett zu sein.



Jack bemerkte, wie die Nervosität Andrews immer mehr stieg. Er starrte auf seinen Teller, als suche er etwas und wenn er den Blick hob, sah er unruhig um sich.



Als alle mit dem Essen fertig waren, räumte Mrs. Hampton das Geschirr ab. Dann saßen sie sich wieder am Tisch gegenüber. „Dürfen wir jetzt vielleicht erfahren, weshalb Sie hier sind?“ Andrews Vater sah Jack gespannt an.

Jack war wohl mindestens so gespannt wie er, darauf wie Andrew das Thema anschneiden würde.

„Du musst mit mir reden, Dad. Nicht mit Mr. McPhee.“

Sein Vater sah ihn etwas verwirrt an. „Und warum ist er dann hier?“

Diese Frage beantwortet Jack. „Sozusagen zur moralischen Unterstützung.“

„Wie bitte?“ Jetzt war es an den Hamptons nervös zu werden. Sie sahen ihren Sohn fragend an.

Diesem schlug das Herz bis zum Hals, als er erst Jack, dann seine Eltern ansah. „Mom... Dad... ich... ich...“ Andrew zögerte und warf Jack einen Hilfe suchenden Blick zu. Jack nickte ihm aufmuntern zu. Der Junge versuchte seiner Mutter fest in die Augen zu schauen, aber er konnte den Blickkontakt nicht halten. Er sah eher an ihr vorbei, als sie an, als er endlich ein leises „Ich bin schwul“ über die Lippen brachte.



Jack lächelte ihn an, aber Andrew bemerkte es nicht. Er fixierte seine Eltern. Sein Vater starrte ihn einen kurzen Moment an, dann stand er auf und verließ den Raum. Fast gleichzeitig mit ihm stand Mrs. Hampton auf. Sie lächelte nervös und beinnahe entschuldigend, folgte dann aber schnell ihrem Mann in die Küche.



Andrew sah ihnen nach und seine Augen füllten sich mit Tränen. Hilfe suchend sah er zu Jack, der - nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Küchentür geschlossen war - aufstand und ihn in den Arm nahm. Andrew weinte und Jack fühlte sich machtlos. Wie konnte er ihm helfen?

Aus der Küche kamen die Geräusche eines heftigen Streits, dann flog die Tür auf und Mr. Hampton stürmte herein. Jack hatte immer noch Andrew umarmt und wollte ihn schnell loslassen, aber dieser klammerte sich an ihn. *Jetzt ist es auch schon egal*, dachte Jack, und ließ seinen Schüler gewähren.

„Jetzt weiß ich was hier läuft! Sie haben ihn dazu gemacht, nicht wahr? Sie verdammte Schwuchtel!“

Jack ließ Andrew los und trat Mr. Hampton entgegen. „Mr. Hampton, ich bin Andrews Lehrer. Und ich bin heute nur hier, weil er mich darum gebeten hat. Das ich selbst schwul bin, hat damit gar nichts zu tun.“

Sein Gegenüber wurde immer wütender. „Oh, natürlich hat es das! Sie haben ihn verführt, nicht wahr? Ohne Sie wäre er ein ganz normaler anständiger Junge!“

Jack sah zu Andrew hinüber, der auf dem Stuhl saß. Die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen. Sprachlos und mit Tränen überströmtem Gesicht, beobachtete er die Szene. Jack wartete einen Moment, dann trat er auf Andrew zu und flüsterte: „Es tut mir so leid, Andrew.“

Dann drehte er sich um und verließ das Haus. Hinter sich hörte er wie ihm Mr. Hampton nachrief. „Das wird noch Folgen haben, Mr. McPhee! Ich werde ihre Vorgesetzten davon in Kenntnis setzen!“

Jack drehte sich nicht um. „Das ist jetzt auch schon egal. Schlimmer kann es nicht mehr kommen“, dachte er und stieg in sein Auto.





~+~





„Andrew hatte zu Recht Angst.“ Jack sah zu Doug auf, an den er sich gelehnt hatte. „Wir hatten beide zu Recht Angst. Ich hoffe nur, dass sich sein Vater beruhigt! Ich kann es mir nicht leisten, meinen Job zu verlieren!“

Doug strich ihm über den Arm. „Das wird sicher nicht passieren. Es liegt nichts gegen dich vor, und dieses Ungetüm von Vater wird sich schon wieder beruhigen.“

„Das hoffe ich. Auch für Andrew... Ich bin so ein Feigling! Ich bin einfach gegangen und hab ihn allein gelassen!“ Jack schlug mit der Faust auf die Couch ein.

Doug hielt seine Hand fest. „Hör auf. Du konntest doch nichts für ihn tun.“

Jack seufzte tief. „Ich hoffe, Andrew geht es gut...“





~+~





Montagfrüh war Jacks Englischklasse wieder versammelt. Zu seiner Erleichterung war auch Andrew da. Nach der Stunde trat er auf ihn zu. „Wie geht es dir?“

„Ganz gut...“

„Hör zu, Andrew. Es tut mir leid, dass ich einfach gegangen bin, ich fühlte mich nur so machtlos.“

„Schon gut. Was hätten Sie denn auch tun können. Die Schuld trifft meinen Dad. Ich hätte nicht erwartet, dass er so ausrasten würde. Es tut mir leid, was er gesagt hat.“

„Darf ich dich fragen, wie es weiterging?“

„Meine Mum hat ihn in die Küche geholt. Ich bin dann nach oben und hab mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Ich denke, dass er sich beruhigt hat. Zumindest hat er den Rest des Wochenendes kein Wort darüber verloren. Aber ich weiß nicht, ob das gut ist...“

Jack lächelte ihn an. „Das ist ein gute Zeichen, glaub mir.“

Jetzt lächelte auch Andrew wieder. „Wie kann ich mich bei Ihnen bedanken, Mr. McPhee? Sie haben mir sehr geholfen. Auch wenn es vielleicht nicht so aussieht.“

„Du hast dich schon genug bedankt. Mehr brauchst du nicht tun.“



Jack sah auf die Uhr und nahm seine Tasche. Er verließ gemeinsam mit Andrew das Klassenzimmer und ging mit ihm Richtung Konferenzzimmer. Vor der Tür blieb er stehen. Er legte seinem Schüler die Hände auf die Schulter und sah ihm fest in die Augen. „Andrew, versprich mir eins: Vergiss nie, dass du – auch wenn es manchmal so aussieht – nie allein bist. Es wird immer jemanden geben, an den du dich wenden kannst.“

Er lächelte und zwinkerte Andrew zu. Dann zog er die Tür hinter sich ins Schloss.


ENDE
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