Unheimlich verehrt by Nadia
Summary: Seit dem 14. Februar bekommt Joey plötzlich Briefe, Blumen mit Kärtchen und Süßigkeiten von einem fremden Bewunderer. Was ihr zunächst schmeichelt, wird schnell zu einer ernstzunehmenden Bedrohung, denn ihr heimlicher Verehrer scheint geradezu besessen von ihr zu sein.
Categories: Romance > Joey/Pacey Characters: Andie McPhee, Dawson Leery, Jack McPhee, Jen Lindley, Joey Potter, Pacey Witter
Language: Deutsch
Tags: Alternate Universe, Angst, Darkfic, Friendship, UST
Challenges: None
Series: None
Chapters: 4 Completed: No Word count: 9015 Read: 43932 Published: 05-06-17 Updated: 11-06-17
Story Notes:
Die Story habe ich angefangen, als die dritte Staffel bei uns im Fernsehen lief. Ist also schon Jahre her! Die Episode 3.14 Schmetterlinge im Bauch [Valentine's Day Massacre] habe ich mir erlaubt umzuschreiben. Jacks Ex-Freundin Kate kommt nicht vorbei und die Clique geht auch nicht zu Matt Caufields Anti-Valentinsfete. Stattdessen wird Joey unheimlich verehrt. ;)

1. Chapter 1 by Nadia

2. Chapter 2 by Nadia

3. Chapter 3 by Nadia

4. Chapter 4 by Nadia

Chapter 1 by Nadia
Joey saß noch völlig müde am Küchentisch, aß ihren Toast und trank von ihrem Kaffee. Bessie war bereits bester Laune und wuselte von einem Zimmer ins andere. Bisher war noch keiner der Gäste wach, was Joey nur recht war. So musste sie sich keine Mühe geben möglichst gut gelaunt auszusehen. Denn morgens um halb sieben aufzustehen und auch noch fröhlich dreinzublicken, empfand sie als unmenschlich.

„Du meine Güte“, erklang Bessies erstaunte Stimme von der Eingangstüre her.

Mehr oder weniger interessiert reckte Joey den Kopf um nachzusehen, was so unglaublich sein sollte. Ihre Schwester kam mit einigen rot und rosafarbenen Briefen, einer kleinen Schachtel, einem Teddy, der ein Herz umklammerte, und einem großen Strauß dunkelroter Rosen in die Küche zurück.

Ach ja richtig, dachte Joey, es war mal wieder der Tag der Kommerzialisierung der Gefühle, auch Valentinstag genannt. Sie seufzte und setzte ein gequältes Lächeln auf. „Bessie, ist das etwa alles von Bodie?“

„Das ist nicht für mich, Dummerchen. Das ist alles für dich.“

„Sicher“, kommentierte Joey sarkastisch und verdrehte die Augen.

„Überall steht dein Name drauf.“ Bessie hob Joey die fünf Karten, den Teddy und die Rosen entgegen. „Sieh selbst.“

Joey starrte ungläubig auf die Anzahl der Briefumschläge und öffnete einen nach dem anderen. Eine Karte war von Dawson. Sie bekam immer eine Karte von Dawson, schon seit sie Kinder waren. Es war mehr aus Freundschaft, als aus Liebe. Er wollte ihr damit jedes Jahr aufs Neue zeigen, dass er immer für sie da sein und sie ‚lieben’ würde. Er war nun mal ihr bester Freund.

Eine Karte war von Jack. Joey musste lächeln. Er hatte ihr ein kleines Gedicht geschrieben und mit ‚In Liebe, Jack’ unterzeichnet.

Die dritte Karte war von einem anonymen Autor. Auch auf dieser Karte standen ein paar Zeilen. Jedoch handelte es sich dabei nicht um ein Gedicht. Es war vielmehr eine Beschreibung von ihr, aus Sicht des Autors und ein Liebesgeständnis. Joey steckte die Karte in den Umschlag zurück und zuckte die Schultern, als sie den fragenden Blick ihrer Schwester sah.

Auf dem Umschlag der vierten Karte war der Absenderpoststempel aus Boston. Sie war von AJ, keine Frage. Mit roten Wangen öffnete Joey den Umschlag und las das Gedicht, das er ihr extra für diesen Anlass geschrieben hatte. Er war einfach ein toller Poet! Und süß obendrein. Sie war unheimlich vernarrt in ihn, auch wenn sie nicht gerade den besten Start gehabt hatten.

„Von wem ist die letzte Karte?“, fragte Bessie neugierig und war bereits dabei sie vom Tisch zu nehmen, um nachzusehen.

Joey entriss ihr den Umschlag und sah sie gespielt strafend an. „Das ist ja wohl die Höhe! Wage es nicht meine Post zu öffnen, klar!“

Beide mussten daraufhin lachen. Doch als Joey den Umschlag öffnete und die einfache Zeile ‚Sei mein Valentinsschatz’ las und darin sofort Paceys Schrift wiedererkannte, erstarb ihr Lächeln und sie sah ihre Schwester mit großen Augen an. Sie hatte noch nie zuvor eine Karte von Pacey bekommen. Sie schluckte hart und starrte immer wieder von Bessie auf die Karte und wieder zurück.

„Sie ist von Pacey“, sagte Joey schließlich ungläubig. „Wenn es jemanden gibt, von dem ich keine Valentinskarte erwartet habe, dann von ihm.“

„Du siehst mich an, als hätte das eine tiefere Bedeutung, Joey.“ Ihre kleine Schwester nickte, noch immer ein wenig verwirrt und geschockt. „Möglicherweise ist diese Karte ebenso unschuldig, wie die von Dawson und Jack. Meinst du nicht auch?“

„Kann schon sein“, erwiderte Joey und steckte die Karte in den Umschlag zurück und legte sie auf den Stapel mit den anderen. Was, wenn die Karte nicht so unschuldig war? ‚Sei mein Valentinsschatz’ hatte er ihr geschrieben. Das klang nach einer Offenbarung der Gefühle, nicht nach einer einfachen Freundschaftserklärung.

„Du solltest dich lieber beeilen, wenn du nicht zu spät zur Schule kommen willst, Joey“, erinnerte sie ihre Schwester schließlich und deutete auf die Uhr an der Wand hinter sich. „Es wird Zeit, dass du dich anziehst.“

„Ja, schon gut. Stellst du die Blumen bitte ins Wasser?“, bat Joey und stand auf, um ins Badezimmer zu gehen.

„Klar“, erwiderte Bessie freundlich lächelnd, nahm den großen Strauß Rosen und stellte ihn in eine der Kristallvasen, die sie noch von ihrer Mutter hatte. Sie brachte die ganzen Sachen in Joeys Zimmer, ehe sie sich um ihren Sohn Alexander kümmerte, der etwa zur selben Zeit wach wurde und nach seinem Brei verlangte.

Joey stand, sich die Zähne putzend, vorm Spiegel im Bad und fragte sich, wer der Fremde war, der ihr die Blumen und die Karte hatte zukommen lassen und was Pacey dazu bewogen hatte, ihr ebenfalls eine Karte zu schicken. Sie war so sehr in Gedanken versunken, an diesem Morgen, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben fünf Minuten zu spät zum Englisch-Unterricht kam, was ihr natürlich prompt einen amüsierten Blick von Pacey und einen erstaunten Blick von Dawson einbrachte.

Sie nuschelte eine Entschuldigung an den Lehrer hin und setzte sich schnell auf ihren Platz, flankiert von ihren beiden besten Freunden, die sie wortlos ansahen, ehe sie sich wieder dem Unterricht widmeten.

~*~

Die ersten beiden Schulstunden zogen sich wie Kaugummi hin. Joey fühlte sich die ganze Zeit unwohl so zwischen Dawson und Pacey zu sitzen. Sie hatte sich die ganze Zeit nicht getraut zu Pacey hinüber zu sehen. Warum hatte er diese Karte geschickt? War es einer seiner üblichen Streiche? Oder meinte er wirklich ernst, was er da geschrieben hatte? Auf jeden Fall hatte er sie heute Morgen erwartungsvoll angesehen, aber sie hatte keinen Ton herausgebracht. Endlich ertönte das erlösende Klingeln. Es war große Pause.

Sie gingen hinaus auf den Schulhof. Es war bitterkalt und Joey fror. Dawson legte ihr fürsorglich den Arm um die Schultern, um sie zu wärmen. Sie lächelte.

„Ach, danke übrigens für die Karte, Dawson. Dir auch, Jack.“

Jack gestellte sich mit seinem Essenstablett zu ihnen.

„Gern geschehen“, kam es von beiden.

Was war nur los mit ihr? Sie konnte Pacey nicht in die Augen sehen, aber sie hatte ganz genau gesehen, wie er sie befremdet angesehen hatte, als sie sich bei den beiden anderen Jungs bedankt hatte. Und zusätzlich beschäftigte sie die ganze Zeit der Gedanke daran, von wem wohl die vierte, die anonyme Karte war. Ihr wollte einfach niemand einfallen.

„Und Leute, was machen wir heute Abend?“, fragte Dawson in die Runde.

„Tja, was macht eine Gruppe von Singles am Valentinstag?“, erwiderte Andie.

„Habt ihr nicht Lust auf die Anti-Valentinsfete von Matt Caulfield zu gehen?“, warf Pacey ein.

„Auf keinen Fall“, sagte Joey etwas zu heftig. „Da geh ich nicht hin. Das ist doch wieder so ein Saufgelage!“

„Vielleicht würdest du dann endlich mal lockerer werden“, frotzelte Pacey.

Sie sah ihn bitterböse an.

„Was haltet ihr von einem Video-Abend bei mir zu Hause?“, versuchte Dawson zu schlichten. „Fünf Leute kriege ich gut unter. Jen geht ja mit Henry schick essen. Also, was meint ihr? Seid ihr dabei?“

Und man hörte von allen nur zustimmende ‚Jas’.

Die fünf Freund verspeisten ihre Mahlzeiten, überlegten sich welche Filme sie sich gemeinsam ansehen wollten und genossen die Pause. Nun ja, nicht alle. Joey wich weiterhin Paceys Blick aus, der immer wieder zu ihr wanderte und dabei fast ein bisschen unsicher auf sie wirkte.

Als es schließlich klingelte und die Pause vorbei war, meinte Dawson: „Also, dann sehen wir uns um acht bei mir zuhause!“

Sie verteilten sich in unterschiedliche Richtungen und Joey bemerkte wie Pacey ihr kurz nachsah. Was hatte das zu bedeuten? Sie hatte noch vier weitere Stunden, die heute einfach nicht vergehen wollten. Aber irgendwann hatte sie es geschafft und machte sich auf den Heimweg, auf die andere Seite des Flusses.

~*~

Als sie vor ihrer Haustür ankam, stockte ihr der Atem. Vor der Tür lag schon wieder ein Strauß Rosen. Dunkelrote Baccara-Rosen, die sich eigentlich nur Verliebte schenkten.

Außerdem lag ein rechteckiges Geschenk daneben, verpackt in rotglänzendes Papier mit einer goldenen Schleife darum. Wahrscheinlich Pralinen. Und als Krönung des Ganzen, steckte in der Mitte des Straußes eine Karte in Herzform. ‚Oh Gott‘, dachte Joey. Von wem war das denn? Dawson, Pacey und Jack waren mit ihr in der Schule gewesen. Die schieden aus. Sie hob den Strauß auf, das Geschenk, öffnete die Tür und setzte sich in die Küche.

Bodie war vermutlich in Leerys ‚Fresh Fish‘ arbeiten und Bessie wahrscheinlich mit Alexander spazieren. Ihre Schuhe standen nämlich nicht im Flur und auf dem Tisch lag ein Zettel, dass ihr Essen in der Mikrowelle sei. Aber sie dachte im Moment nicht an Essen. Langsam öffnete sie den Umschlag der Karte.

Rote Rosen werd' ich Dir schicken,
lieblich duftend und wunderschön,
sie sollen Dein Herz entzücken,
auch wenn draußen noch Schneeflocken weh´n.

Wenn am Fenster die Eisblumen blühn,
der Winter, er kümmert uns nicht,
ich schick Dir Rosen zum Valentin
und leg hinzu ein liebes Gedicht.

Zeile um Zeile soll es Dir sagen,
ich liebe Dich, für alle Zeit,
Frühling hält auch an kalten Tagen,
Wärme in unser'm Innern bereit!

Ich liebe dich, Josephine!!!

Es konnte nicht ernst gemeint sein. Irgendjemand erlaubte sich einen schlechten Scherz mit ihr. Wer bitte schön schrieb so etwas? Bestimmt hatte Pacey irgendwen damit beauftragt. Heute Abend würde sie ihn zur Rede stellen.

Auch als Bessie später nach Hause kam, war sie der Ansicht, dass sich Pacey einen Spaß erlaubte und Joey einfach nur ein bisschen ärgern wollte.

Joey verbrachte den Rest des Tages damit, Hausaufgaben zu machen. Bessie und Bodie hatten für Alexander einen Babysitter, der um acht kommen würde, wenn Joey zu Dawson ging. Die beiden gingen heute Abend nämlich ganz schick essen. Alexander spielte im Wohnzimmer auf dem Fußboden und Joey sah fern. Es war viertel vor acht. Sie würde gleich aufbrechen.

Da klingelte das Telefon.

„Joey Potter.“

Es wurde sofort wieder aufgelegt. ‚Wahrscheinlich falsch verbunden‘, dachte Joey.

Doch dann klingelte es erneut. Ein wenig misstrauisch nahm sie den Hörer ab.

„Hallo, wer ist da?“, fragte Joey forsch und wieder wurde einfach aufgelegt.

Sie dachte an die Blumen und Geschenke von dem Unbekannten und ihr wurde mulmig. Jedoch im selben Moment schalt sie sich. ‚Mach dich nicht verrückt, Joey. Es ist nichts!‘

Aber schon klingelte es erneut. Sie zögerte, unsicher ob sie drangehen sollte. Es könnte schließlich auch etwas Wichtiges sein, jemand anderes … Langsam nahm sie den Hörer und führte ihn ans Ohr.

„Ich will dich, Josephine Potter!“, hörte sie eine fremde und äußerst dunkle Stimme aus der Muschel und im selben Moment schlug die Hintertür des B&B zu.

Joey erschrak sich ganz furchtbar und ließ fast den Hörer fallen. Vorsichtig schlich sie sich in die Küche. Die Hintertür schlug gegen den Rahmen. Sie war offen. Draußen fegte der Wind und ließ sie frösteln. Es schien als war jemand im Haus gewesen. Ihr wurde plötzlich ganz unheimlich zumute. Sie fing an zu zittern. Aus dem Wohnzimmer hörte sie plötzlich Alexanders Lachen.

Und dann klopfte es an der Haustür. Sie zuckte zusammen.

Öffnen, oder nicht öffnen?

Obwohl sie Angst hatte, schlich sie sich zur Tür, stellte sich dahinter und riss sie auf.

Vor ihr stand Pacey und lächelte. Joey kannte ihn jedoch zu gut und fiel nicht auf sein aufgesetztes Lächeln herein, das an diesem Abend nicht echt wirkte.

„Verdammt, Witter! Das ist alles andere als komisch!“, fuhr sie Pacey an, zog ihn ins Haus und verschloss sorgfältig die Haustür hinter ihm.

Pacey deutete verwirrt auf sich selbst. „Was hab ich jetzt schon wieder falsch gemacht?“, fragte er, mit einem Hauch von Unschuld in der Stimme.

„Du weißt ganz genau, was ich meine.“ Sie stellte sich vor ihn, stemmte die Hände in die Hüfte und funkelte ihn zornig an. Jeder in der Clique wusste, was für ein Angsthase Joey war. Und besonders die Jungs liebten es, sie immer wieder zu erschrecken.

„Nein“, versicherte Pacey, „ich hab keinen Schimmer wovon du redest.“ Er sah sie ein wenig ungeduldig an.

Joey musterte ihn eingehend. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Jungs ihr einen gehörigen Schrecken einjagten und sie begann fieberhaft nachzudenken, was für ein Datum heute war. Dann fiel ihr wieder ein, dass es der vierzehnte war, nicht der dreizehnte. Zudem war es kein Freitag. Sie seufzte und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Schwöre“, sagte sie zu Pacey, „dass du mich eben nicht angerufen und dich durch die Hintertür ins Haus geschlichen hast, um mich zu erschrecken.“

Pacey sah sie nur mit großen Augen an. Dann legte er sich die rechte Hand aufs Herz. „Ich schwöre, dass ich es nicht war. Siehst du Gespenster, Joey Potter?“

„Wer sieht Gespenster?“, fragte Bessie, die gerade aus ihrem Schlafzimmer kam und sich Ohrringe ansteckte.

„Niemand“, antwortete Joey schnell. „Also, ich bin dann bei Dawson.“ Sie sah Pacey an. „Können wir?“

Er nickte und Bessie sah flüchtig nach ihrem Sohn, der unweit von ihnen auf dem Boden saß und ein kleines Auto hin und her schob. „Komm’ nicht zu spät Heim. Du weißt, dass ich es nicht gerne sehe, wenn du nachts allein herumläufst.“

„Ich bringe Cinderella noch vor Mitternacht nach Hause“, versprach Pacey lächelnd und nahm Joey beim Arm. „Nicht wahr, Prinzessin?“

Sie verzog das Gesicht und machte eine ihrer zickigen Grimassen.

„Gut“, meinte Bessie nur und ging dann zu Alexander hinüber.

Kaum, dass die Tür hinter Joey ins Schloss gefallen war und sie beide auf der Veranda standen, drehte Pacey sich zu ihr um. Er hielt sie an den Armen und sah ihr eindringlich in die Augen. „Also, was ist nun mit deinem Gespenst?“

Sie schüttelte den Kopf. „Nichts.“

Pacey musterte sie noch einen langen Moment, ehe er ihre Antwort akzeptierte und ihre Arme losließ. Ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, machten sie sich auf zu Dawson. Natürlich in Sheriff Witters Dienstwagen. Pacey hatte ihn sich mal wieder ‚ausgeliehen’.

„Wie kommt es“, wollte Joey wissen, während sie den Gurt über die Brust zog, um sich anzuschnallen, „dass du mich abholst? Das war nicht ausgemacht.“

Pacey startete den Jeep und fuhr an. „Bessie ist nicht die Einzige, der es unheimlich ist, ein hübsches Mädchen allein im Dunkeln abseits der ‚Stadt’ herumlaufen zu lassen.“

Sie konzentrierte sich zunächst nur auf den Umstand, dass er den Beschützer spielte und wurde sich erst einige Zeit später des geschickt eingewobenen Kompliments bewusst. Ob doch mehr hinter der Karte von ihm steckte? Was, wenn sein Gebaren alles andere als rein freundschaftlich war?

In letzter Zeit wurden ihre Spitzen zunehmend weniger. Sie waren wesentlich netter zueinander. Fast schon zu nett, fand Joey. Nun ja, es sei denn natürlich, dass sie mal wieder Engel und Teufel auf Dawsons Schulter spielten. Da bekamen sie sich immer in die Wolle.

„Das ist sehr aufmerksam von dir, Pacey“, meinte sie nach einiger Zeit, in der sie schweigend im Wagen gesessen hatten. „Aber ich gehe seit Jahren allein zu Dawson und wieder nachhause. Ich bin ein großes Mädchen und kann gut auf mich selbst aufpassen.“

Pacey sah während der Fahrt nur flüchtig zu ihr hinüber. „Du hast natürlich recht, aber mir war danach.“ Mehr wollte er dazu scheinbar nicht sagen und schaltete das Radio ein.
Chapter 2 by Nadia
Dawsons Zimmer war bereits belebt als sie ankamen. Jack und Andie hatten es sich auf einem aufblasbaren Sofa rechts vom Bett bequem gemacht und Dawson selbst saß auf seinem Drehstuhl links vom Bett, gerade eine Schüssel gezuckertes Popcorn aufs Bett stellend. Neben der Schüssel lagen drei Videokassetten und der Fernseher war bereits eingeschaltet. Es lief gerade die Wettervorhersage für den kommenden Tag.

„Hey, Leute“, grüßte Joey, die zusammen mit Pacey im Türrahmen stand. „Seit wann hast du denn sowas?“, fragte sie und deutete auf das knallpinke Sofa, auf dem die McPhee Geschwister saßen und sprach damit Dawson an.

„Das gehört mir nicht. Andie hat es mitgebracht“, meinte Dawson lächelnd. „Du weißt, dass mir sowas nicht gefällt.“

„Deshalb war ich ja so überrascht, es hier zu sehen.“ Joey zuckte die Schultern, legte die Jacke ab und hängte sie an das kleine Regal rechts neben der Tür.

„Es ist bequemer als die Stühle, auf die wir sonst verfrachtet werden“, sagte Andie lächelnd. „Und es war recht günstig. Ich glaub, die Investition hat sich gelohnt.“

„Auf jeden Fall, Schwesterherz“, ließ sich Jack in das Gespräch ein und hüpfte auf dem Sofa herum, sodass Andie fast herunterfiel. „Es ist wie ein Trampolin.“

„Sehr witzig“, gab Andie kichernd von sich und hieb ihrem Bruder spielerisch in die Seite. Der begann damit seine Schwester zu kitzeln, bis sie um Gnade bettelte.

Pacey, Joey und Dawson sahen dem Ganzen belustigt zu, ehe sich die Neuankömmlinge aufs Bett setzten. Joey nahm sich die Videos vor. Sie war neugierig, was Dawson ausgeliehen hatte. Sie hoffte, dass es nicht wieder nur eine Sammlung von Spielberg-Filmen war und atmete erleichtert auf, als sich ihre Befürchtung dahingehend als unbegründet herausstellte.

„Was haben wir hier?“, fragte Pacey und nahm Joey die Filme ab. „'Evolution', 'Arac Attack' und 'Schrei, wenn du kannst'?“

„Ich dachte, dass zumindest ein Horrorfilm dabei sein sollte“, erklärte Dawson, als er Paceys fragendes Gesicht sah. „Und in dem Film geht es um ein Horror-Erlebnis am Valentinstag. Ich dachte, das wäre passend.“ Er lächelte, wobei seine makellosen weißen Zähne zum Vorschein kamen, mit denen er gut Werbung für Zahncreme machen könnte.

Joey lief es eiskalt über den Rücken, als Dawson etwas genauer erzählte, um was es in 'Schrei, wenn du kannst' ging. Für einen flüchtigen Moment zog sie in Erwägung ihren Freunden von dem mysteriösen Vorfall bei sich zu Hause und den anonymen Geschenken und Karten zu berichten, verwarf die Idee jedoch gleich wieder.

Wahrscheinlich steckte Dawson hinter alle dem und mit dem Film wollte er ihr quasi zeigen, dass er sich einen Scherz mit ihr erlaubt hatte. Schon jeher empfand er es als lustig, ihr Angst einzujagen und makabere Scherze mit ihr zu treiben. Etwas, das sie an ihm ganz und gar nicht mochte, zumal er es gelegentlich wirklich zu weit trieb.

„Hört sich super an“, sagte Andie und nickte begeistert. „Den sollten wir uns zuerst ansehen.“

„Von mir aus gerne.“ Jack nahm das Videoband aus der Hülle.

„Ich wäre mehr für 'Evolution'“, sagte Joey schnell und nahm Jack das Video aus der Hand. „Wir sollten was Lustiges anschauen, schließlich ist Valentinstag. Horrorfilmnächte machen wir sonst immer an Halloween oder am Freitag, den Dreizehnten.“

„Du Angsthase“, neckte Dawson seine beste Freundin und kniff ihr leicht in den Arm.

„Und wenn schon“, gab sie sich beleidigt.

Pacey lehnte sich in eines der Kissen auf dem Bett zurück. „Mir ist es egal, was wir anschauen. Hört sich alles gleichermaßen gut an. Eine Horror-Komödie wäre mir allerdings am liebsten.“

„Also dann“, sagte Dawson und nahm die Filme an sich. „Wir lassen Joey das entscheiden.“ Er mischte die Bänder, als habe er vor zu einem Kartenspiel einzuladen. Dann hielt er sie wie einen Fächer hoch, die Etiketten auf seiner Seite, sodass Joey nicht sah, welchen Film sie auswählte und hielt ihr die Videos hin.

„Immer ich“, beschwerte sie sich.

„Niemand hat hier was gegen Horrorfilme, abgesehen von dir“, kommentierte Pacey mit einem frechen Lächeln, nicht ahnend, dass Joey zurzeit selbst eine unheimliche Zeit durchmachte, in der ihr scheinbar jemand nachstellte.

„Und wir haben einen Gewinner!“, rief Dawson aus, als Joey eines der Videos antippte. „Der erste Film an diesem heiteren Abend ist: Schrei, wenn du kannst.“

„War das klar“, seufzte Joey und ließ sich schmollend neben Pacey auf das Bett fallen.

Er drehte den Kopf und sah sie an, während Dawson das Band in den Videorecorder schob. „Du kannst jederzeit meine Hand halten, wenn es dir zu gruselig wird“, bot er selbstlos an und versuchte aufmunternd zu lächeln.

„Ich hasse Horrorfilme“, murmelte sie nur, verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust und spürte schon während des Vorspanns, wie Adrenalin begann durch ihren Körper zu strömen.

Dawson und Andie lachten leise, während Jack nur einen mitleidigen Blick für Joey hatte, ehe sich sämtliche Augenpaare auf den kleinen Fernseher richteten.

~*~

Während des Filmes rutschte Joey unbewusst immer näher zu Pacey, was niemandem außer ihm selbst auffiel. Und das auch nur deshalb, weil es ihm immenses Herzklopfen bereitete. Schon viel zu lang verbarg er seine Gefühle für das Mädchen, das er früher liebend gern geärgert hatte. Doch seit Dawson ihn gebeten hatte auf sie zu achten, hatte sich seine Abneigung ihr gegenüber ganz allmählich in Zuneigung verwandelt.

Vorsichtig schielte er aus dem Augenwinkel zu ihr und lächelte unbewusst, als er ihren ängstlichen Gesichtsausdruck sah. Ihre rechte Hand klammerte sich schließlich um seinen Oberarm und er legte instinktiv seine Hand über ihre, begann sie sanft zu streicheln, in dem Versuch, Joey etwas zu beruhigen.

Pacey konnte ja nicht ahnen, dass Joeys Aufmerksamkeit sich vom Film – in dem gerade eine der Hauptdarstellerinnen auf brutalste Art und Weise abgeschlachtet wurde – auf ihn verlagerte. Vor allem auf seine sanfte Berührung, welche Joey einen angenehm warmen Schauer über die Haut jagte und jeden Millimeter ihres Köpers zu elektrisieren begann. Und eine einzige Frage dominierte mit einem Mal ihr gesamtes Denken: ‚Was zur Hölle tue ich da?‘ Ihr Blick wanderte langsam zu Dawson. Sie musste sichergehen, dass er es nicht bemerkt hatte. Das Glück war auf ihrer Seite, denn Dawson war ganz und gar im Bann des Films. Und so brachte Joey möglichst unauffällig wieder Abstand zwischen sich und Pacey, in dem sie sich zu ihrer Limonade hinüberlehnte, die auf Dawsons Nachttischchen stand.

Augenblicklich vermisste Pacey ihre Nähe und sah ein wenig bedauernd zu Joey hinüber. Sie deutete mit ihrem Blick hinüber zu Dawson und Pacey verstand den zarten Wink. Er wusste, dass sie wegen Dawson Abstand genommen hatte und nicht etwa deshalb, weil ihr seine Nähe unangenehm war. Der Gedanke beruhigte Pacey ein wenig, obgleich er sich nichts sehnlicher wünschte, als dass er ihr seine Gefühle endlich gestehen durfte.

~*~

Joey fühlte nichts als Erleichterung, als endlich der Abspann des Films über den Fernseher flimmerte. Sie nahm den letzten Schluck Limonade und zog dann ihre Schuhe an, die sie vorhin auf den Boden neben das Bett gestellt hatte. Für heute hatte sie genug gesehen. Sie fühlte sich müde und ein leichtes Pochen begann sich hinter ihrer Stirn bemerkbar zu machen.

„Du willst schon gehen?“, fragte Dawson erstaunt, während er die Rückspultaste der Fernbedienung betätigte und sah Joey aus dem Augenwinkel an.

Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bekomme Kopfschmerzen und bin total müde. Wenn ich jetzt nicht gehe, schlafe ich ein und das will ich nicht.“

Pacey warf einen flüchtigen Blick nach draußen. Es war stockfinster geworden und die Vorstellung, dass Joey jetzt nach Hause ging oder versuchte über den halb zugefrorenen Fluss zu rudern, gefiel ihm ganz und gar nicht.

„Ich fahr dich heim, Potter“, sagte er daher und schlüpfte ebenfalls in seine Schuhe.

„Toller Videoabend“, grummelte Dawson sarkastisch und ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen. Er bemühte sich erst gar nicht seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass seine beiden besten Freunde nach nur einem Film gingen.

„Wir bleiben noch“, warf Andie dazwischen und sah ihren Bruder an, „nicht wahr, Jack?“

„Klar“, nickte dieser. „Ich hätte jetzt Lust auf Spinnen.“

Dawson war zwar froh, dass wenigstens Andie und Jack noch bleiben wollten, aber Joey und Pacey wären ihm doch lieber gewesen. Sie waren schließlich seine ältesten Freunde und mit ihnen sah er sich am liebsten Filme an, um anschließend darüber zu diskutieren.

„Du musst mich nicht begleiten.“ Joey stand vom Bett auf und sah Pacey an. Dawsons schlechte Laune war ihr nicht entgangen. Und sie glaubte, wenn Pacey bliebe, dann wäre Dawson wenigstens wieder etwas milde gestimmt.

„Draußen ist es eiskalt und stockdunkel. Da lasse ich dich nicht allein heimgehen. Das ist mir zu gefährlich.“ Mit diesen Worten griff Pacey zu seiner braunen Cordjacke und zog sie an. „Also, versuch gar nicht erst, es mir auszureden.“

„Wenn du so darauf bestehst“, meinte Joey schlicht und zog sich ebenfalls ihre Jacke an. „Macht’s gut Leute. Wir sehen uns ja dann morgen in alter Frische.“

Sich den Schal um den Hals wickelnd, winkte Joey nochmals über ihre Schulter und folgte Pacey dann, der lediglich ein „Wir sehen uns“ von sich gab und bereits auf halbem Weg die Stufen runter, ins untere Geschoss war.

„Pacey, warte!“, bat Joey und schloss zu ihm auf, ehe er das Haus verlassen hatte. „Dawson schien ziemlich zerknirscht.“

„Der beruhigt sich auch wieder. Niemand würde sich mehr Vorwürfe machen als er, wenn dir was zustieße. Ich weiß das, weil ich sein bester Freund bin.“ Mit diesen Worten schob er Joey sanft zur Haustür hinaus.

„Wirklich niemand, außer ihm?“, fragte sie und lächelte dabei.

„Du hast mich erwischt.“ Er erwiderte das Lächeln.

„Ich bin froh, dass es dich gibt, Pacey.“ Die Worte kamen wie durch einen Impuls über ihre Lippen, noch ehe sie darüber hatte nachdenken können. Aber es stimmte nun mal. In der letzten Zeit war sie immer häufiger froh darüber, dass sie und Pacey sich zunehmend besser verstanden. Früher hatte sie ihn für einen Blödmann gehalten, der Dawson ständig in Schwierigkeiten brachte und nichts als Unsinn im Kopf hatte. Inzwischen hatte sich ihr Bild von ihm jedoch geändert.

„Danke“, erwiderte er schlicht. Er war viel zu überrascht über ihre Worte, als dass ihm etwas Eloquenteres eingefallen wäre.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, gingen sie – jeder seinen eigenen Gedanken nachhängend – zum Auto und stiegen ein. Pacey ließ gerade den Motor an, als Joey die Karte wieder in den Sinn kam, die er ihr geschickt hatte. Unsicherheit machte sich in ihr breit, da sie einfach nicht mehr wusste, wie sie mit allem umgehen sollte. Die Karte, die versteckten Komplimente, die Gesten und unscheinbaren und doch so wichtigen Berührungen ... Alles ließ nur einen Schluss zu, vor dem sie bisher versucht hatte die Augen zu schließen.

„Pacey“, meinte sie schließlich beinahe flüsternd, „kann ich dich was fragen?“

„Klar.“ Seine Augen blieben auf die Straße gerichtet, aber seine Aufmerksamkeit galt Joey.

„Warum hast du mir die Karte geschickt?“

Betretenes Schweigen machte sich im Wagen breit und Joeys Befürchtung, dass er tatsächlich romantische Gefühle für sie entwickelt hatte, wurde dadurch nur noch stärker.

„Was glaubst du, weshalb?“

„Kannst du mir nicht einfach antworten, ohne eine Gegenfrage zu stellen?“ Sie fühlte, wie ein wenig Zorn in ihr aufstieg. Sie mochte es gar nicht, wenn er in Situationen wie dieser, den Ernst versuchte herabzuspielen.

„Hör’ mal, ich weiß, dass du diese Gefühle nicht hast. Ich dachte aber, dass ich es dich wissen lassen sollte ...“ Er hielt inne und sah flüchtig zu Joey hinüber, die ihn mit großen Augen anblickte. „Versuch es einfach zu vergessen.“

„Mach’ das nicht mit mir, Pacey.“ Als sie seinen fragenden Blick sah, fuhr sie fort. „Lass mich nicht so stehen. Ich habe es schon geahnt, dass sich irgendwas zwischen uns verändert hat. Dass gewisse Gefühle dabei sind aufzukeimen. Aber wir dürfen das nicht zulassen. Wir können nicht erforschen, was da vielleicht wäre ...“

„Wegen Dawson?“, fragte er dazwischen, ohne Joey ausreden zu lassen.

„Ganz genau“, erwiderte sie entschlossen. „Du weißt, dass er das nicht verkraften würde.“

Pacey räusperte sich. „So wie du das sagst, schließt du die Möglichkeit aber nicht völlig aus. Du hast nur Angst es einzugestehen. Und du empfindest ebenfalls etwas für mich.“

„Ich ... nein! Ich empfinde etwas für AJ.“ Joey verschränkte die Arme vor der Brust und gab sich möglichst entrüstet.

„Warum regt es dich dann so auf?“

„Weil du viel zu viel aufs Spiel setzt“, erklärte sie. „Und das bin ich nicht wert.“

„Das sehe ich anders, aber wenn du möchtest, dann tun wir einfach so, als hätte ich dir nie eine Karte geschickt.“ Natürlich war das nicht wirklich Paceys Wunsch, aber Joey schien seine Gefühle nicht zu erwidern und mochte ihn wohl doch nur rein platonisch. Damit würde er lernen müssen zu leben. Das zumindest versuchte er sich in diesem Augenblick selbst einzureden, auch wenn er genau wusste, dass es alles andere als leicht werden würde, Joey lediglich aus den Augen eines Freundes zu sehen.

Wenige Minuten später rollte der Wagen in die Auffahrt des Potterschen B&B und Pacey stoppte das Gefährt. Eine Weile saßen die beiden nur schweigend nebeneinander und hingen ihren Gedanken nach. Doch schließlich hielt Joey die drückende Stille nicht länger aus.

„Ich wollte dich nicht verletzen, Pacey. Ich denke nur, dass es besser ist, wenn wir versuchen nicht näher zu ergründen, was da sein könnte. Und du weißt, dass ich einen Freund habe.“

„Den du praktisch nie siehst, weil er mehrere Stunden Autofahrt entfernt wohnt. Was ist das denn für eine Beziehung?“ Pacey konnte nicht anders, als ihr seine Meinung zu dieser lächerlichen Fernbeziehung mitzuteilen. Er fand es einfach nicht normal, dass ein sechzehnjähriges Mädchen mit einem Studenten zusammen war, der obendrein auch noch so weit weg wohnte. Fernbeziehungen waren in seinen Augen selbst für Erwachsene schier unmöglich aufrecht zu erhalten. Und für junge Leute, wie sie es waren, sowieso.

„Pacey, bitte ... lass es uns nicht vertiefen. Es ist besser so.“ Sie sah ihn aus großen, traurigen Augen an. Dann lehnte sie sich zu ihm hinüber und gab ihm einen sanften Kuss auf die Wange. „Danke, dass du mich hergefahren hast.“ Mit diesen Worten stieg sie aus dem Wagen und ging langsam zum Haus hinüber. Eisiger Wind blies ihr entgegen und sie schlang die Arme um sich selbst.

Er wartete noch einen kurzen Moment, dann ließ Pacey den Motor erneut an und fuhr rückwärts aus dem Hof und zurück auf die Straße. Sein Verstand wusste, dass Joey die richtige Entscheidung getroffen hatte – für sie beide – aber sein Herz brach nichtsdestotrotz in abertausend Stücke. Und zu allem Übel liefen im Radio nur Kuschelsongs, die seinen Schmerz verstärkten. Pacey entschied für sich, dass er den Valentinstag über alles hasste. Ganz besonders in diesem Jahr.

Joey drehte sich nochmals zu dem Wagen um, doch der war bereits in der Dunkelheit hinter den Bäumen verschwunden. Sie seufzte und schloss einen Moment bedächtig die Augen. Sie konnte nicht leugnen, dass sie mehr für Pacey empfand, als sie sollte. Doch sie war nicht bereit Dawson oder AJ wehzutun. Und das würde sie unweigerlich tun, sollte sie auf Paceys Avancen eingehen. Das durfte sie nicht zulassen.

Ein leises Rascheln im Unterholz erregte plötzlich ihre Aufmerksamkeit. Das Geräusch kam aus der Richtung, in der Pacey eben weggefahren war. Zunächst glaubte sie, dass er vielleicht nochmals zurückkam, doch als es dunkel blieb, verwarf sie den Gedanken wieder. Dann dachte sie an ein Tier. Vielleicht war irgendwo dort hinten ein nachtaktives Tier unterwegs. Sie zuckte die Schultern und wollte gerade wieder in Richtung Haus weitergehen, als es abermals raschelte. Diesmal lauter als zuvor und sie hörte deutlich, wie Zweige zerbrachen.

„Ist da jemand?“ Vorsichtig ging Joey einige Schritte in Richtung des Raschelns. „Hallo?“

„Joey ...“, kam es heißer und kaum hörbar aus dem Unterholz und sie erschauderte augenblicklich. „Joey ...“

Als sie die unheimliche Stimme ein weiteres Mal hörte, fiel ihr sofort der grausame Film ein, den sie bei Dawson gesehen hatte. Dort war das Mädchen der Stimme gefolgt und ermordet worden. Sie würde nicht so dumm sein. Mit weichen Knien lief sie daher schnell in Richtung Haus und rannte hastig die Stufen zur Veranda hoch. Es brannte zum Glück noch Licht und sie wusste, dass die Haustür dann noch nicht abgeschlossen war. Also riss sie die Tür auf, schloss sie hastig wieder hinter sich und blieb schwer atmend im Wohnraum stehen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals und erst nach einigen Sekunden fielen Joey die verwunderten Blicke auf, die sich auf sie richteten.

Bessie, Bodie und ein Gast der Pension saßen am Küchentisch – offenbar hatte Joey eine Unterhaltung unterbrochen – und sahen sie verwundert an.

„Da war jemand im Gebüsch und rief meinen Namen“, sagte sie, immer noch verängstigt und außer Atem.

„Hat Dawson dich wieder mal zu einem Horrorfilm gezwungen?“, fragte Bessie lächelnd, ihre Schwester absolut nicht ernst nehmend.

„Das war keine Einbildung, Bessie. Schon den ganzen Tag habe ich das Gefühl ... beobachtet zu werden.“

„Bist du sicher?“, fragte nun Bodie und stand auf, um zu Joey zu gehen. „Du bist völlig blass.“ Er berührte kurz ihre Wange. „Komm setz dich hin, trink etwas Warmes und ich sehe mich inzwischen im Hof um. Einverstanden?“

Joey nickte dankbar dafür, dass wenigstens einer sie ernst nahm. Mit wackligen Knien ließ sie sich auf einen der freien Stühle am Tisch sinken und nahm eine Tasse Tee von Bessie entgegen, die sie zitternd an ihre Lippen führte.

Bodie zog sich seine Jacke an, nahm eine Taschenlampe aus der Küchenzeile und ging hinaus in die Nacht. Joey starrte gebannt auf die Tür, nur Bessie und der Gast schienen gelassen und nahmen das vorherige Gespräch wieder auf.

Nach einigen Minuten kehrte Bodie zurück ins Haus und schüttelte nur leicht den Kopf. „Da draußen ist niemand.“

Joey versuchte sich zu beruhigen. Womöglich hatte ihr wirklich nur die eigene Fantasie einen Streich gespielt. Nach so einem Filmabend wäre das auch nicht weiter verwunderlich gewesen.
Chapter 3 by Nadia
„JOEY!“ Bessies Stimme riss sie unsanft aus ihrem traumlosen Schlaf. In der Nacht war sie mehrmals wach geworden, hatte geglaubt etwas gehört zu haben und konnte danach jedes Mal lange nicht einschlafen. Sie fühlte sich total gerädert und zog sich die Decke über den Kopf. „Josephine Potter!“, dröhnte Bessies Stimme erneut, diesmal viel näher. Joey wusste, dass sie inzwischen im Zimmer stand, und als ihr die Bettdecke weggezogen wurde, hatte sie die Bestätigung.

„Was ist?“, maulte Joey und rieb sich die Augen. „Was willst du?“

„Erstens hast du verschlafen und zweitens will ich, dass du dir die Veranda ansiehst!“ Bessie stand, mit in die Hüfte gestemmten Händen, vor ihr und machte ein ziemlich wütendes Gesicht.

Joey verstand nur Bahnhof, schwang missmutig die Beine über die Bettkante und drückte sich gähnend von der Matratze ab. „Was ist mit der Veranda?“

Sie folgte Bessie, die ihr keine Antwort gab, bis zur Haustür. Als ihre Schwester die Türe aufriss und Joey einen flüchtigen Blick auf die Veranda erhaschen konnte, stockte ihr der Atem. Der gesamte Boden war mit Blütenblättern zugestreut, rote und rosafarbene Ballons hingen am Geländer und in der Mitte, direkt vor der Tür, saß ein großer, weißer Plüschbär, der ein Herz hielt auf dem ‚Ich liebe dich!’ stand.

„Sag’ Dawson, er soll diesen Quatsch lassen. Das macht sich nicht gut, wenn man eine Pension führt. Was sollen denn unsere Gäste von diesen überdimensionalen Liebeserklärungen halten. Zudem war gestern Valentinstag. Er ist ein wenig spät dran!“ Nach dieser Tirade ließ Bessie ihre sprachlose Schwester in der offenen Tür stehen.

Joey hatte ein ganz ungutes Gefühl. Sie wusste, dass dies nicht Dawsons Handwerk war. Ja, er war ein hoffnungsloser Romantiker, aber solch übergroße Gesten hatte er eigentlich nie vollbracht.

Davon abgesehen waren sie sich einig Freunde zu sein und mehr nicht. Er hatte sie vor Monaten abgewiesen, als sie sich ihm angeboten hatte und sie war sich sicher, dass er subtiler vorgehen würde, hätte er seine Meinung inzwischen geändert.

Jedes andere Mädchen hätte sich vielleicht gefreut, zwischen mehreren Jungen wählen zu können, nicht jedoch Joey Potter. Sie versuchte nicht mehr allzu oft darüber nachzudenken, was sie mit Dawson hätte haben können. Sie hatten ihre Chance gehabt, es war vorbei. AJ war jetzt ihr Freund, auch wenn sie ihn nicht annähernd so oft sehen konnte, wie sie wollte. Und was Pacey anging, so missdeutete er vermutlich nur die freundschaftlichen Gefühle, die sie einander entgegenbrachten.

~*~

An diesem Morgen war Joey besonders schnell für die Schule fertig. Schließlich musste sie noch die Veranda saubermachen, ehe Bessie einen erneuten Tobsuchtsanfall bekommen würde. Sie hatte ihrer Schwester zudem versichert, dass sie sich bemühte die romantischen Gesten ihres Verehrers – wer immer es auch sein mochte – versuchen würde zu unterbinden.

Natürlich hatte sie Bessie nicht versprechen können mit Dawson zu reden. Wozu auch, wenn er nicht dahintersteckte? Nur wie sollte sie herausfinden, wer ihr diese Geschenke machte, die sie inzwischen nicht mehr romantisch, sondern eher unheimlich fand?

„Hey, Joey!“ Es war Dawson, der ihr auf dem Schulkorridor nachlief und sie schließlich erreichte. „Tut mir leid, dass ich gestern sauer war.“

„Ach, schon vergessen. Ich nehme das schon gar nicht mehr ernst“, sagte sie flapsig und ging die Bücher auf ihrem Arm durch, um sicherzustellen, dass sie keines vergessen hatte. „Du warst heute Nacht nicht zufällig bei mir?“, fragte sie dann so beiläufig wie nur irgendwie möglich.

Selbstverständlich zog das bei Dawson nicht. Sofort war er alarmiert und musterte sie eingehend. „Natürlich nicht. Weshalb fragst du?“

„Ich“, begann sie und sah sich auf dem Korridor um. Sie hatte zunehmend das Gefühl beobachtet zu werden. „Ich“, sagte sie erneut, diesmal so leise, dass Dawson Mühe hatte sie zu verstehen, „bekomme seltsame Geschenke.“

„Was für Geschenke?“, flüsterte Dawson nun ebenfalls.

„Ich dachte zuerst, es käme von euch. Von dir, AJ, Pacey und Jack.“ Ihr Blick huschte nervös durch den Gang und immer wieder sah sie hinter sich. „Valentinsgeschenke und so was. Blumen, Karten, Plüschtiere …“ Sie benetzte sich die trocken gewordenen Lippen und suchte in Dawsons Augen nach Verständnis.

„Du hast einen heimlichen Verehrer?“, bohrte Dawson nach.

„Einen unheimlichen sogar!“, kommentierte Joey sarkastisch und biss sich leicht auf die Lippen. „Es wird gruselig, Dawson.“

„Buh!“, hörte sie plötzlich hinter sich und jemand piekte ihr die Fingerspitzen in die Seiten, so dass Joey fast zu Tode erschrak.

„DAS IST NICHT KOMISCH!“, schrie sie Pacey an, der mit allem gerechnet hatte, aber nicht mit diesem Maß an Wut.

„Unsere Joey hat einen heimlichen Verehrer“, erzählte Dawson seinem Freund Pacey und warf Joey ein neckendes Lächeln zu. „Sie mag ihn nicht.“

„Ich kenne ihn nicht!“, erklärte sie unwirsch.

In diesem Moment ertönte die Schulglocke und forderte die Schüler auf ihre Klassenzimmer aufzusuchen.

„Ich muss los“, sagte Dawson und klopfte Pacey kumpelhaft auf die Schulter. „Mathe steht an, juhu!“

„Und wir haben Geschichte“, sagte Pacey freudig und legte einen Arm um Joeys Schulter. „Ich muss mir kurz die Hausaufgaben von dir abschreiben.“

„Ich hab sie selbst nicht.“ Sie hatte ganz vergessen die Hausaufgaben für Geschichte fertig zu machen. Durch den Trubel um Valentinstag und ihrem mysteriösen Verehrer hatte sie diese Hausaufgabe vollkommen vergessen.

„Ich bin entsetzt“, feixte Dawson. „Also, bis später!“ Damit spurtete er in die eine Richtung davon, während Joey grüblerisch Pacey in die andere folgte.

„Wie kommt es, dass Miss Streberlein die Hausaufgaben vergisst?“, wollte Pacey wissen, als er sich an den Tischen gleich neben ihrem setzte.

Joey stapelte sorgfältig die Bücher vor sich auf den Tisch. „Du warst es nicht, oder? Die Sache mit der Veranda heute morgen?“

Er stutzte, als sie auf seine Neckerei überhaupt nicht wie sonst einging. Pacey sah ihr an, dass etwas nicht stimmte. Sein Blick ruhte voller Besorgnis auf ihr. „Nein, ich war seit gestern Abend nicht mehr bei dir. Was ist denn los?“

„Guten Morgen!“, rief der Lehrer und zog damit Joeys Aufmerksamkeit auf sich.

„Ich erzähl es dir später“, tuschelte Joey und versuchte sich die nächsten fünfundvierzig Minuten auf den langatmigen Unterricht zu konzentrieren, was ihr nur schwerlich gelang.

Kurz vor Ende des Unterrichts sollten sie ihre Hausaufgaben auf das Lehrerpult legen und weil sie das ebenso wenig wie Pacey tun konnte, fingen sie sich eine Stunde Nachsitzen ein. Heute hatten sie ohnehin schon einen recht langen Schultag und Joey wusste, dass es wieder dunkel sein würde, wenn sie hier endlich rauskam.

Was sie jetzt allerdings nicht wollte, war im Dunkeln nach Hause zu gehen. Auf der anderen Seite hasste sie es, Pacey zu bitten, sie schon wieder zu begleiten. Er musste allmählich denken, sie litt unter Verfolgungswahn.

In der großen Pause hatte sie keine Gelegenheit ihm von dem mysteriösen Fremden und den unheimlichen Gesten zu erzählen, denn Dawson und er alberten die ganzen Zeit miteinander herum und nahmen Andie auf die Schippe. Sie war froh, dass die Jungs sie an diesem Tag mit ihren Albernheiten in Ruhe ließen.

Jen kam, Henrys Hand haltend, nach einer Weile zu ihnen an den Tisch. „Hey, Leute.“

„Eine ganz Fremde“, neckte Dawson. „Wir dachten schon, du hast uns vergessen.“

„Haha“, ließ sich Jen mit einem Lächeln vernehmen und wurde ein wenig rot, was recht untypisch für sie war.

Joey freute sich für Jen. Tatsächlich war sie ein wenig eifersüchtig auf das Glück der Blonden. Immerhin war gestern Valentinstag gewesen und AJ hatte sie nicht einmal angerufen. Ihr Verstand sagte ihr, dass er vermutlich im Klausurstress steckte und den Tag der Liebenden daher vergessen hatte, enttäuscht war sie allerdings trotzdem. Andererseits hatte er ihr ein wunderschönes Gedicht geschrieben und per Post zukommen lassen. Immerhin etwas …
Chapter 4 by Nadia
Die zusätzliche Stunde, die sie und Pacey beim Lehrer nachsitzen mussten, verging erstaunlich schnell. Beide nahmen die Gelegenheit wahr, die versäumten Hausaufgaben nachzuholen und konnten sie dann letztlich doch noch abgeben. Eine Note Abzug würden sie jedoch in Kauf nehmen müssen, hatte ihnen der Lehrer gesagt, ehe er die beiden entlassen hatte.

Pacey wohnte am anderen Ende von Capeside. Er schnappte sich das Fahrrad, das als einziges an diesem Tag noch bei den Ständern stand und wollte sich bereits draufschwingen, als er Joeys suchenden Blick bemerkte. Sie sah sich in der abendlichen Dunkelheit um. „Suchst du jemanden? Dawson womöglich …“

Joey wandte sich zu Pacey um. „Dass Dawson seit über einer Stunde Schulschluss hat, ist mir nicht entgangen. Wieso sollte er noch hier sein?“

„Wen suchst du dann?“ Pacey folgte ihren scannenden Blicken. Aber es war weit und breit niemand zu sehen.

Unwillkürlich begann Joey zu frösteln. Nicht so sehr ob der Kälte, die mit dem eisigen Wind durch ihre eigentlich warme Kleidung drang, sondern vielmehr wegen der tiefen Sorge, dass ihr jemand in der Dunkelheit auflauern könnte.

„Soll ich dich begleiten?“, fragte er nach einiger Zeit. Er konnte ihr ansehen, dass sie sich unwohl fühlte. Joey war schon immer ein Angsthase gewesen, aber sie war schon oft im Dunkeln nachhause gegangen. Sie waren hier schließlich in Capeside, quasi am Ende der Welt. Hier war noch nie etwas wirklich Unheimliches geschehen. Nun ja, bis auf diesen Serienkiller, den sie im letzten Jahr nicht weit außerhalb von Capeside festgenommen hatten.

Joey rang mit sich selbst. Einerseits wollte sie sich keine Blöße geben und schwächlich auf Pacey wirken – er würde sie ewig damit aufziehen! -, aber andererseits hatte sie wirklich Angst. Eine irrationale Angst, die sie nicht wirklich begründen konnte, aber sie war stark. Sie zitterte am ganzen Leib und wollte sich einreden, dass das nur an der kalten Winterluft war, die Mitte Februar noch übers Land fegte. „Mach dir keine Umstände“, winkte sie ab und bemühte sich um eine feste Stimme.

Pacey seufzte und deutete hinter sich. „Schwing dich auf den Gepäckträger. Ich bringe dich heim.“

„Das kann ich nicht von dir verlangen.“ Joey schüttelte den Kopf. Wenn er sie mit dem Auto fahren würde, wäre es die eine Sache, aber mit dem Fahrrad …

„Es ist keine Limousine, aber wir kommen schneller mit dem Rad voran als zu fuß. Also schwing deinen Hintern auf den Gepäckträger, sonst stehen wir morgen noch hier.“

Das tapfere Mädchen zu spielen, das sie nicht war, brachte ohnehin nichts. Pacey ließ sich nichts vormachen. Und sie war ihm insgeheim mehr als dankbar, dass er sie heimfahren wollte. „Danke“, murmelte sie und schulterte ihren abgetragenen Rucksack, ehe sie sich hinter Pacey auf das Fahrrad setzte.

Als Kinder waren sie oft gemeinsam auf einem Fahrrad gesessen. Mal war Joey bei Pacey mitgefahren, meistens jedoch bei Dawson. Sie selbst hatte sie ein Fahrrad besessen. Ein Fahrrad war nie im Budget gewesen, nachdem ihre Mutter gestorben und ihr Vater wegen Drogenhandel ins Gefängnis gekommen war. Und so hatten die Jungs sie abwechselnd mitgenommen.

„Wie in alten Zeiten“, sinnierte Pacey, als er losfuhr und zunächst aufrecht stehend in die Pedale trat, um Schwung aufzunehmen, ehe er sich setzte.

Joey hielt sich an der eisigen Metallstange fest, auf der der Sattel befestigt war. Da sie keine Handschuhe trug, wurden ihr die Finger allerdings schnell taub und sie beschloss das Wagnis, sich an Paceys Hüfte festzuhalten. Der dicke Stoff seiner Cordjacke fühlte sich sehr viel angenehmer unter ihrer Haut an. „Ja, wie in alten Zeiten“, stimmte sie zu.

Unterwegs kamen ihnen kaum Fahrzeuge entgegen. Nur vereinzelt gingen Passanten hier und da über Gehwege. Die meisten Läden der Stadt hatten bereits geschlossen. Die Beleuchtungen der Geschäfte waren daher auf ein Minimum reduziert. Schließlich kamen sie am neuen Kino vorbei, vor dem sich eine kleine Menschentraube gebildet hatte und offenbar auf Einlass wartete.

„Wir sollten mal wieder ins Kino gehen“, schlug Pacey aus heiterem Himmel vor und holte Joey damit aus ihren Gedanken.

Seit sie ihre Zeit mehr mit Pacey als mit Dawson verbrachte, nachdem dieser sie am Ende der letzten Sommerferien abgewiesen hatte, war sie gar nicht mehr so sehr auf dem Laufenden was die Filmwelt betraf. Sie wusste nicht, was gerade im Kino lief und ob etwas dabei war, das sie interessierte. „Können wir gerne machen“, erwiderte sie dennoch.

„Willst du meine Handschuhe haben?“ Pacey berührte ihre eisigen Finger auf seiner linken Hüfte.

Es war nur eine flüchtige Berührung, aber sie sandte eine befremdliche warme Welle durch Joeys Körper. „Nein, geht schon. Du brauchst sie genauso, schließlich bekommst du mehr von dem kalten Fahrtwind ab.“ Seine Fürsorge rührte sie. Sein Verhalten ihr gegenüber hatte sich ohnehin in den vergangenen Monaten drastisch geändert. Hin und wieder versuchte er mit einem flapsigen Spruch die Spannung zwischen ihnen zu lösen, aber Joey spürte die Veränderung dennoch. Sie sah ihn inzwischen mit anderen Augen, auch wenn sie dies nur ungern zugab. Er war nicht mehr der ungehobelte Flegel, der sie seit Jahren schikanierte und ihr gehörig auf die Nerven ging. Er war ein enger Freund geworden, ein Vertrauter sogar! Wenn sie Kummer hatte, bemerkte er es oft deutlich vor Dawson. Und manchmal musste sie gar nicht viel sagen, er schien auch so zu wissen, was sie belastete.

So war es auch im vergangenen Monat gewesen, als sich der Todestag ihrer Mutter gejährt hatte. Ihr war den ganzen Tag jämmerlich zumute gewesen und Pacey hatte einfach bei ihr gesessen und ihr zugehört. Sie hatten sich alte Fotoalben angesehen, Geburtstagskarten, die ihre Mutter jedes Jahr für sie gebastelt und die Joey sorgfältig aufbewahrt hatte.

Sie war ihm unendlich dankbar für seine Freundschaft. Allerdings war sie sich nicht sicher, warum er sich seit diesem Schuljahr so sehr um sie kümmerte. Sicher, Dawson hatte sich am Ende der Sommerferien in Eve verknallt und wer weiß was mit diesem Miststück getrieben. Aber inzwischen war Eve wieder verschwunden und würde wohl auch nicht nach Capeside zurückkehren. Wer war schon so bescheuert in dieses Kaff zurückkehren zu wollen? Dennoch hatte Dawson sie auf Distanz gehalten. Dass sie AJ kennengelernt hatte, war Joey nach ihrem Liebesdrama mit Dawson wie ein Segen erschienen. Aber AJ lebte und studierte nun mal in Boston und sie hatte kein Auto, so dass sie eben nicht ständig zu ihm fahren konnte. Von den Fahrtkosten, die sowohl Auto als auch die Züge kosteten, ganz zu schweigen. Und AJ hatte keine Zeit, um immer wieder nach Capeside zu fahren, was sie durchaus verstand. Aber gerade jetzt wünschte sie sich, dass sie einen kräftigen Footballspieler zum Freund hätte, der ihrem unheimlichen Verehrer zeigen würde, wo der Hammer hängt. Stattdessen ließ sie sich von ihrem Freund Pacey auf einem gut zehn Jahre alten und entsprechend klapprigen Fahrrad nachhause bringen.

Pacey … Dass er angefangen hatte mehr als eine platonische Freundin in ihr zu sehen, beunruhigte Joey zunehmend. Sie konnte sich noch sehr lebhaft daran erinnern, wie sie sich in Dawsons Nähe gefühlt hatte, als dieser noch in Jen verliebt gewesen war und in Joey nichts weiter als seine beste Freundin sah. Sie erinnerte sich noch an die schlaflosen Nächte, die kreisenden Gedanken, die Stiche im Herzen, wann immer Dawson zärtlich über Jen gesprochen oder diese geküsst hatte. Sie wollte nicht, dass Pacey sich in ihrer Gegenwart genauso mies fühlte. Dafür bedeutete er ihr zu viel …

Das Fahrrad wurde gestoppt und Joey abrupt aus ihren Gedanken gerissen. „Willkommen zuhause, Cinderella“, verkündete Pacey und schwang sich nicht allzu elegant vom Rad, da sie immer noch auf dem Gepäckträger hockte und er sein Bein somit nicht hintenüber schwingen konnte.

Joey erhob sich mit steifen Gliedmaßen und streckte sich. Ihre Finger waren taub von der Kälte und ihr Gesicht fühlte sich wie gelähmt an. Pacey hatte Bewegung gehabt, ihm ging es da anders. Seine Wangen waren einigermaßen gerötet, ebenso die Nase. Er rückte sich seine Mütze zurecht und wollte sich gerade wieder auf sein Rad schwingen, als Bessie und Bodie aus dem Haus auf sie zukamen.

„Wo hast du gesteckt?“, wollte Bessie wissen und klang dabei streng.

„Wir haben uns Sorgen gemacht“, erklärte Bodie, der Lebensgefährte ihrer Schwester, in deutlich sanfterem Ton.

„Wir mussten beide nachsitzen“, gestand Joey. „Da es dunkel war, hat Pacey mich nachhause gefahren.“

„Wie ausgesprochen lieb von ihm“, frotzelte Bessie, ehe sie die linke Augenbraue steil anhob und Pacey eingehend musterte.

„Ich fahre dich heim“, bot Bodie an. „Das ist das Mindeste, nachdem du Joey sicher zurückgebracht hast.“

„Nicht nötig“, winkte Pacey ab. „Die frische Luft tut gut.“ Außerdem hatte er es nicht wirklich sehr eilig nachhause zu kommen. Auf das halb verbrannte Essen seiner Mutter und die Spötteleien seines Vaters konnte er nun wirklich verzichten. Davon abgesehen würde ihn fürs Nachsitzen vermutlich eh eine Standpauke erwarten.

„Ich bestehe darauf.“ Bodie blieb hart. Er schnappte sich das Fahrrad und legte es auf die Ladefläche des alten blauen Pickups. „Steig ein …“

„Und du kommst mit rein und trinkst erstmal einen schönen heißen Tee und isst was“, wandte sich Bessie an ihre jüngere Schwester, legte ihr einen Arm um die Schultern und führte sie ins Haus.

„Danke, Pacey!“, rief Joey ihm noch über die Schulter hinweg zu.

Er lächelte und nickte. „Jederzeit, Potter, jederzeit.“

Bodie ließ den Motor an, der aufgrund der Kälte nicht gleich auf Anhieb anspringen wollte, dann jedoch dunkel grollte. Der Pickup rollte rückwärts bis er außer Sicht geriet. Joey stand noch einen Moment auf der Veranda und winkte zum Abschied.

„Ach, übrigens ist wieder etwas für dich abgegeben worden“, erklang hinter ihr Bessies Stimme.

Als Joey sich zu ihr umdrehte, reichte ihre Schwester ihr eine einzelne rote Rose und einen Briefumschlag. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. „Wer hat das hier abgegeben?“

Bessie zuckte arglos die Schultern. „Keinen Schimmer. Das lag auf der Veranda als wir vom Einkaufen zurückkamen.“

Joey hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Sie wusste, dass Dawson nicht dahinter steckte und Pacey ebenso wenig, ganz gleich wie er inzwischen für sie empfinden mochte. Und für AJ war es viel zu untypisch, trotz der Gedichte. AJ war eindeutig ein besserer Poet. Wenn jedoch keiner von ihnen der Kavalier war, wer steckte dann dahinter?
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